Los ging's in Frankfurt, dann kamen Bremerhaven, Berlin, Linz in Oberösterreich, zuletzt Karlsruhe, das pfälzische Schwegenheim und Euskirchen bei Köln. An all diesen Orten sorgten Gottesdienste in Freikirchen-Gemeinden für große Corona-Cluster. Teils waren über 100 Menschen infiziert. Auch der Ausbruch beim Fleischfabrikanten Tönnies im Kreis Gütersloh mit über 1.500 Infektionen hatte seinen Ursprung womöglich in einem solchen Gottesdienst. Doch was macht Freikirchen zu Corona-Hotspots?
Freikirche ist nicht gleich Freikirche
"Zunächst einmal darf man hier nicht alles über einen Kamm scheren", sagt Martin Fritz, Referent bei der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (EZW) in Berlin. "Freikirche" sei nur ein Sammelbegriff, unter den ziemlich unterschiedliche Glaubensgemeinschaften gefasst werden, die erst einmal nur eines verbindet: dass sie unabhängig von den großen Volkskirchen sind.
Konkret waren von den Corona-Ausbrüchen verschiedene Gemeinden betroffen: Pfingstkirchen und Mennoniten, außerdem, besonders häufig, die Evangeliums-Christen beziehungsweise Evangeliums-Christen-Baptisten. Doch so unterschiedlich diese Freikirchen im Detail auch sein mögen - einige Merkmale verbinden sie, darunter auch solche, die die Verbreitung des Coronavirus unterstützen.
Soziale Gründe
Als erstes nennt Martin Fritz hier soziale Gründe: "Der Besuch des Sonntagsgottesdienstes hat für die Gemeindemitglieder eine hohe Verbindlichkeit." Entsprechend gut besucht seien die oft kleinen Kirchen und Bethäuser. Und damit nicht genug: "Die Verbindlichkeit reicht deutlich über das rein Religiöse hinaus", erklärt der Theologe. So folge auf den Gottesdienst oft ein gemeinsames Mittagessen. "Manche Gemeinden verbringen den ganzen Tag zusammen." Auch hätten die Gemeinden sehr große Einzugsgebiete, was wiederum die Gefahr erhöht, dass sich unter den Gottesdienstbesuchern ein Infizierter befindet.
Hinzu kommt die Gestaltung der Gottesdienste. Gesang, so Fritz, spiele in diesen Freikirchen eine besonders große Rolle. Darauf zu verzichten, falle den Gläubigen noch schwerer als katholischen und evangelischen Christen. In manchen Situationen - etwa bei Heilungsgebeten - komme es auch zu großer körperlicher Nähe. "Generell wird in diesen Gemeinden eine enthusiastisch-überschwängliche Frömmigkeit praktiziert, die notgedrungen in Konflikt mit strengen Hygienekonzepten gerät."
"Ideologische Gründe"
Und noch etwas streicht Martin Fritz heraus: das, was er "ideologische Gründe" nennt. Viele dieser Freikirchen würden die Welt sehr stark in Gut und Böse einteilen: "Hier die gottlose Welt, hier die Gemeinde der Frommen." Dem Staat und den Medien stünden die Gläubigen entsprechend distanziert gegenüber. "Es ist sehr wahrscheinlich, dass in diesen Gemeinden eine hohe Skepsis herrscht, was die Gefährlichkeit des Virus und folglich die staatlichen Maßnahmen betrifft", so der Theologe.
Zumal in den Pfingstkirchen werde die heilende Kraft des Heiligen Geistes stark betont, was wiederum Auswirkungen auf den Umgang mit der Pandemie hat. "Aus den USA kennen wir Aussagen wie 'Der Herr ist der beste Arzt', erzählt Fritz. Entsprechend sorglos gingen die Gemeindemitglieder mit der Ansteckungsgefahr um - man glaubt sich ja geborgen in Gottes Hand.
Auch wenn Martin Fritz von all dem gewusst hat - die Häufigkeit von Corona-Ausbrüchen in freikirchlichen Gemeinden hat ihn dann doch erstaunt. "Ich war schon überrascht, wie stark sich die entsprechenden Tendenzen auf das Infektionsgeschehen auswirken", meint der Experte.