DOMRADIO.DE: Wenn Sie das hören. 2900 Stellen in Deutschland werden gestrichen, die meisten davon in Köln. Was geht dann in Ihnen vor?
Pfarrer Franz Meurer (Katholische Kirchengemeinde St. Theodor und St. Elisabeth, Köln Höhenberg-Vingst): Ich bin seit 40 Jahren Mitglied der Gewerkschaft ver.di und jemand, der die katholische Soziallehre kennt. Ein Zitat aus dem zweiten Vatikanischen Konzil: "Die menschliche Arbeit hat den Vorrang vor allen anderen Faktoren des wirtschaftlichen Lebens, denn sie sind nur werkzeuglicher Natur." Das heißt, dass der Mensch zur Arbeit geboren wurde, wie der Vogel zum Flug. Das hat schon Augustinus gesagt. Es ist jetzt unsere Aufgabe, genau das deutlich zu machen.
2013 hat der Papst in seiner Enzyklika Evangelii Gaudium gesagt: "Diese Wirtschaft tötet so!" Aus meiner Sicht ist er ein rheinischer Kapitalist (Anhänger der Sozialen Marktwirtschaft; Anm.d.R.). Es darf keine Wirtschaft der Ausschließung geben, oder wie er sagt, eine Wirtschaft der "Vergötterung des Geldes", des Geldes, das regiert, anstatt zu dienen.
Das heißt, wir müssen unsere Soziallehre einbringen, wenn es gewünscht wird. Fast keiner weiß, dass Arbeit nicht nur ein Grundrecht in der christlichen Soziallehre ist, sondern auch ein Grundwert. Das steht auf der gleichen Ebene wie das Leben. Mir geht es ums Eingemachte und genau das kann unser Beitrag sein.
Das Problem besteht auch nicht nur bei Ford. Die Katholische Jugendagentur Bonn ist gerade in der Insolvenz. Die nächsten drei Löhne für 920 Leute werden nicht von der Katholischen Jugendagentur bezahlt, sondern von der Arbeitsagentur. Die können sich nicht mehr finanzieren und keine Tariflöhne mehr zahlen. Wir merken also, dass das Problem nicht bloß in der Wirtschaft existiert, sondern auch schon bei uns angekommen ist, mitten in der Kirche.
DOMRADIO.DE: Und auch der Zeitpunkt ist sehr unschön. Einen Monat vor Weihnachten. Ist da jetzt unsere Solidarität gefragt?
Meurer: Ich bezahle seit fast 40 Jahren 1 Prozent meines Einkommens als Gewerkschaftsbeitrag. Das ist richtig Kohle. Ja, natürlich ist die Solidarität gefragt. Die Gewerkschaften sagen, dass das gestern bei Ford kein Streik war, sondern eine Versammlung, damit man selber auch mal Ideen vorlegen kann.
Das ist genau das, was unsere katholische Soziallehre meint. Man muss sich gemeinsam bemühen. Man kann nicht mehr wie früher sagen, dass auf der einen Seite die Kapitalisten stehen und auf der anderen Seite die armen Arbeiter geknechtet werden.
Ich bin Mitglied der Historischen Gesellschaft in Köln. Wir geben die Geschichte der Stadt Köln in 13 Bänden heraus. In dem neuen und vorletzten Buch, über die Zeit von 1913 bis 45, steht doch glatt, dass sich die Arbeiter nur ein Armenbegräbnis dritter Klasse leisten konnten. Und sie durften noch nicht mal an der Bestattung teilnehmen.
Vor 40 Jahren war ich in Köln in St. Agnes Kaplan. Da gab es sechs Beerdigungsklassen. Sechs! Für die sehr Reichen wurden die Bänke rausgetragen, um sie durch Sessel zu ersetzen. Und die Arbeiter wurden nach dem Zweiten Weltkrieg zum Glück von einem Kaplan begleitet. Das heißt: Wir haben als Kirche auch die Aufgabe, unser Verhältnis zu den Menschen im Maschinenraum deutlich zu korrigieren.
DOMRADIO.DE: Wir können uns schwer vorstellen, wie es den Mitarbeitern jetzt geht, die da vor dem Arbeitsplatz aussehen. An wen können Sie sich wenden, wenn Sie Angst jetzt vor der Zukunft haben?
Meurer: Zuerst mal wenden Sie sich an die Gewerkschaft. Wir leben in einer Zeit, in der man Mitglied in der Gewerkschaft werden sollte. Die Gewerkschaften kämpfen für einen. Man muss sich eben auch mal fragen: Wer sind die Arbeitgeber? Die Arbeit geben doch die Arbeiter. Und die anderen stellen die Faktoren und das Kapital zur Verfügung, und dann muss man schauen, dass die Ressourcen zusammenkommen.
Aber glücklicherweise fallen die Menschen ja nicht ins Elend. Wir haben ja, anders als in anderen Ländern, eine Arbeitslosenversicherung und Arbeitslosengeld, in anderen Bereichen gibt es dringenden Bedarf an Arbeit. Aber wir müssen als Gesellschaft zusammenhalten.
In dem Moment, in dem Leute gekündigt werden und mit wenig Geld dastehen, muss deutlich sein, wo sie Kinderkleidung, Essen und Unterstützung bekommen und willkommen sind. Das ist das Allerwichtigste.
Ich kenne den Fall, in dem jemand anderthalb Jahre lang jeden Morgen so getan hat, als würde er zur Arbeit gehen, aber in Wirklichkeit gar keine hatte. Er hat sich geschämt und seine Arbeitslosigkeit als Versagen angesehen.
Aber man ist doch keine Null, nur weil man keine Arbeit hat. Heute kann jeder arbeitslos werden. Und es kann auch jeder obdachlos werden, aber das ist ein ganz eigenes Thema. Gerade jetzt im Winter, wenn es kalt ist und bald friert.
Das Interview führte Carsten Döpp.