Beobachter gingen davon aus, der Papst werde die spanischen Bischöfe im Vatikan zur Mäßigung aufrufen und Druck machen, endlich eine eigene, bereits für vergangenen Sommer angekündigte Missbrauchsstudie zu veröffentlichen.
Nicht wenige erwarteten sogar eine Rücktrittswelle, wie sie Franziskus 2018 inmitten des Missbrauchsskandals in Chile von den dortigen Bischöfen gefordert hatte.
Doch trotz hitziger medialer Debatten im Vorfeld sei das Problem des sexuellen Missbrauchs innerhalb der katholischen Kirche in Spanien nicht Gegenstand der Gespräche mit dem Papst gewesen, versicherte Bischof Jesus Vidal im Anschluss an das Treffen.
Das Thema sei lediglich im Zusammenhang mit den Priesterausbildungsplänen angesprochen worden, so der Vorsitzende der bischöflichen Unterkommission für Seminarleitung.
Im Land wächst der Druck auf die Kirche
Doch auch wenn der Papst Spaniens Bischöfe in Sachen Missbrauchsaufarbeitung zumindest offiziell nicht ermahnte, wächst im Land der Druck auf die Kirche seit Monaten. Der vom Parlament in Madrid mit einer unabhängigen Studie beauftragte Ombudsmann Angel Gabilondo erhob im Oktober schwere Vorwürfe gegen den gesamten Klerus.
Die Reaktion der Kirche auf Missbrauchsfälle sei "unzureichend und zögerlich" gewesen, den Opfern sei nur selten geholfen worden, so Gabilondo. Er sollte den Umgang mit kirchlichem Missbrauch in den vergangenen Jahrzehnten untersuchen.
Zudem klagte Gabilondo über eine geringe Bereitschaft, sachdienliches Material und Dokumente bereitzustellen. Die Bischofskonferenz übergab ihm im Juni zwar eine Liste von 927 Minderjährigen, die zwischen 1945 und 2022 in kirchlichen Einrichtungen sexuell missbraucht worden sein sollen. Doch es bestehen erhebliche Zweifel am Aussagegehalt dieser Zahlen. Schließlich handelt es sich den Angaben zufolge lediglich um jene Fälle, von denen die Kirche seit Einrichtung eigener Meldestellen 2019 Kenntnis erlangt habe.
Auch deshalb verzichtete der Ombudsmann in seinem 777-seitigen Bericht auf die Angabe konkreter Opferzahlen. Allerdings fügte er eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts GAD3 unter rund 8.000 erwachsenen Teilnehmern an. 0,6 Prozent der Befragten gaben demnach an, als Minderjährige Missbrauch durch Priester oder Ordensleute erlitten zu haben. Spanische Medien rechneten diesen Wert auf die Gesamtbevölkerung des Landes hoch und kamen so auf Hunderttausende Betroffene.
Hochrechnungen "unseriös"?
Der Bischofskonferenz-Vorsitzende Kardinal Juan Jose Omella bezeichnete diese Hochrechnungen als "unseriös". Generalsekretär Francisco Cesar Garcia Magan meinte, es sei "ungerecht und falsch, einen Schatten der Finsternis und des Misstrauens über alle Priester und Ordensleute zu legen".
Unterdessen stellte die Bischofskonferenz einen Plan vor, nach dem auch jene Opfer sexuellen Missbrauchs "ganzheitlich" entschädigt werden sollen, deren Fälle strafrechtlich verjährt sind oder aus anderen Gründen nicht geahndet werden können. Der Plan, dessen Details noch ausgearbeitet werden sollen, umfasse psychologische, soziale, spirituelle sowie finanzielle Aspekte, hieß es.
Das ist eine Wende. Bisher hatte die katholische Kirche in Spanien Entschädigungszahlungen erst nach entsprechenden Gerichtsurteilen geleistet. Doch Vertrauen kann sie wohl nur mit der baldigen Veröffentlichung eines eigenen Missbrauchsberichts zurückgewinnen, der möglichst umfassend und schonungslos für Aufklärung sorgt. Dieses Vorhaben gestaltet sich indes schwierig.
Verzögerungen und Unstimmigkeiten
Als die Bischöfe im Februar 2022 die Madrider Anwaltskanzlei Cremades & Calvo Sotelo mit der Studie beauftragten, nahm die Skepsis vieler Bürger eher zu. Und das, obwohl der Chef der Kanzlei, Javier Cremades, von Beginn an mit offenen Karten spielte. Bei einer Pressekonferenz ließ er die Medien wissen, "dass ich Katholik bin und Mitglied des Opus Dei". Gerade deshalb sei er an der Wahrheitsfindung interessiert, versicherte er.
Mit seiner Offenheit wollte Cremades Gegnern den Wind aus den Segeln nehmen. Doch die Rechnung ging nicht auf. Zumal Kanzleipartner Alfredo Dagnino, ehemaliger Vorsitzender des katholischen Propagandistenverbands ACdP, den Bischöfen im Sommer ohne Absprache einen derart geschönten Bericht vorlegte, dass sie ihn ablehnten - und die Kanzlei ihren Mitgründer entließ.
Immer wieder kam es zu weiteren Verzögerungen und Unstimmigkeiten.
Die gaben nicht nur Anlass zu Spekulationen und Gerüchten, sondern zwangen die Bischofskonferenz, der Kanzlei nach über einem halben Jahr Verspätung ein Ultimatum für die Übermittlung des Berichts zu setzen. Dem Vernehmen nach soll es nun am 14. Dezember endlich soweit sein.