Spaniens Marien-Faszination kennt keine Grenzen

Schießpulver, Feuerwerk und Musik

In Yecla wird bei winterlichen Temperaturen die Stadtpatronin mit Schießpulver, Feuerwerk und Musik gefeiert. Aus Glaube ist Tradition geworden, die alle verbindet und trotzdem Fragen aufwirft. Ein Besuch in der spanischen Stadt.

Autor/in:
Stefanie Claudia Müller
Marienverehrung in Spanien (dpa)
Marienverehrung in Spanien / ( dpa )

Schon am frühen Morgen knallt es. Der Besucher in Yecla, auch wenn er noch in seinem Bett schlummert, ist zwangsläufig mit dabei: Seit 1642 wird hier zwischen Alicante und Valencia auf 600 Meter über dem Meeresspiegel vom 5. bis 8. Dezember die Stadtpatronin trotz winterlichen Temperaturen mit viel Wärme, aber auch mit viel Lärm und Kosten gefeiert.

1400 kg Schießpulver wird in diesen Tagen in die Luft geblasen. 600 Schützen schießen zu ihren Ehren um die Wette, mit fein geschnitzten Holz-Gewehren aus der Zeit. Rund 2000 Euro kostet es pro Person bei dem traditionellen Spaß mitzumachen: der zeitgemäße schwarze Frack, das Gewehr und das Schießpulver müssen gekauft werden. Es qualmt überall, Hunde müssen sich verkriechen. Viele schützen ihre Ohren mit Wachs. Die Alten klammern sich vor Ehrfurcht aneinander.

Überall hängen Marienbilder aus dem Fenster, wie als wäre es eine Flagge. Selbst Jugendliche machen beim Auszug der Jungfrau aus der Kirche freudestrahlend mit. Von Kirchenmüdigkeit ist auf dem Land nichts zu spüren, was auch der Marienanbetung zu verdanken ist. In Yecla heiβt die Jungfrau "Virgen del Castillo". Wie mit vielen Traditionen hat sich hier eine starke Legende über die Jahrhunderte geformt, die zu einem Selbstläufer wurde, den selbst der für die Kirche giftige Bürgerkrieg nicht zersprengen konnte. 

Die Geschichte geht so: 61 Soldaten aus Yecla halfen damals den Katalanen, die Franzosen wieder aus dem Land zu vertreiben. Dass die Soldaten danach wieder unversehrt in die südostspanische Stadt zurückkehrten, wurde wie ein Wunder angesehen. Seitdem wird der Kult um die Patronin "Virgen del castillo" mit immer mehr Aufwand gepflegt. Dass die Soldaten eigentlich nicht gekämpft, sondern sich versteckt hatten während des Katalanischen Krieges, das interessierte später niemanden mehr.

Seit 1642 verteidigen die 36.000 Einwohner von Yecla ihre Saga. Auch die Zerstörung vieler religiöser Relikte rund um die Marienfigur im Bürgerkrieg von 1936-1939 konnte sie von der Tradition nicht abbringen. Pepe Zarate ist einer der Soldaten bei der diesjährigen Feier. Er hat auch einige der Hymnen komponiert, die in diesen Tagen gespielt werden: "Wir Spanier fühlen uns mehr mit unserem Heimatdorf verbunden als mit dem Land." Überall, egal ob im Baskenland, wo Zarates Familie herkommt, oder in Katalonien, spielen die religiösen Patronatsfeste deswegen eine große Rolle: "Es bringt die Menschen zusammen und hält damit auch die Gesellschaft zusammen," sagt er, trotz der Tatsache, dass nicht alle ein Nationalgefühl hegten, was vielleicht auch genau daran liegt, dass jede Stadt ihre eigene Welt schafft.


Marienverehrung kennt in Spanien keine Grenzen

Die Traditionen funktioniert dabei wie Kitt. Kein anderes Land der Welt verehrt die Jungfrau Maria so sehr wie Spanien. Nach Angaben der spanischen Bischofskonferenz gibt es 92 solcher katholischen Feiertage im Land, die wie in Yecla als "nationales touristisches Interesse" anerkannt sind, und weitere 42, die sogar in die Kategorie "internationales touristisches Interesse" fallen, darunter fällt die Osterwoche (Semana Santa).

"Jede Stadt hat ihre Jungfrau, überall heißt sie anders und sieht etwas anders aus, aber es ist immer wieder dasselbe Gefühl", berichtet Francisco Martín, einer der Organistatoren der Festlichkeiten. Dieses Ritual des Auszugs der Jungfrau aus der Kirche ist ein fester Bestandteil der Kultur spanischer Städte geworden, die wie im Fall von Yecla sonst nicht sehr viel zu bieten haben und damit auch Touristen aus dem eigenen Land und Ausland anlocken wollen. Außer einem sehr reduzierten alten historischen Kern ist Yecla ein typischer Durchfahrtsort. Es gibt nur ein Hotel. Die Stadt ist vor allem bekannt für ihre guten Möbel und ihren Wein. 

Trotz aller Begeisterungen für ihre Stadtpatronin muss aber auch Yecla langfristig über weitere witschaftliche Aktivitäten nachdenken. Denn die Religion alleine hilft nicht, die Rechnungen zu bezahlen.  Auf 36.000 Einwohner kommen 12 Kirchen, die perfekt restauriert sind. Auf der anderen Seite sind immer noch 15% der arbeitsfähigen Bevölkerung ohne Job.

Nach 5 Tagen "durchknallen" in Yecla kommt auch für den "Soldaten" Zarate die bittere Realität: "Ich muss wieder Möbel verkaufen im ganzen Land." Auch wenn ihm das Spaß macht, ist er unsicher, was das neue Jahr bringen wird für ihn und Spanien. Gerade wurde der sozialistische Premier Pedro Sánchez erneut ins Amt gewählt für vier Jahre. 

Bisher haben die Bürger Yeclas sich bei ihrer Marien-Veranstaltung vor Einsparungen und Umweltschützern retten können. Allerdings ist die dortige "Fiesta de la Virgen" auch inzwischen ein nationaler Event, der staatliche Subventionen bekommt. Die dort derzeit regierende Linke pflegt auch Traditionen, aber dennoch ist es fraglich, wie lange Yeclas Männer den Spaß am Ballern noch feiern können in einer Zeit, wo alle und auch die nationale Regierung, bemüht sind, Lärm in den Städten zu reduzieren, die Luft rein zu halten und fürs Tierwohl zu sorgen.

Quelle:
DR