DOMRADIO.DE: Sie betreuen die “Goldene Kapelle” im Berliner Olympiastadion. Wie sieht Ihre Arbeit als Stadion-Seelsorger aus?
Gregor Bellin (Diakon und Stadionseelsorger im Berliner Olympiastadion: Das ist erstmal ein Titel, der ziemlich abstrakt klingen mag, aber grundsätzlich ist es so, dass es in Berlin im Olympiastadion, wo das Endspiel stattfindet, seit der WM 2006 eine Kapelle gibt, die von den beiden großen Kirchen gemeinsam verantwortet wird und wo regelmäßig Gottesdienste anlässlich von Fußballspielen oder bei Leichtathletik-Meisterschaften stattfinden.
Der eine oder andere Spieler oder andere Athleten möchten dort heiraten, das Kind taufen und auch Fans der Berliner Hertha haben diesen Wunsch.
DOMRADIO.DE: Wo ist die Kapelle zu finden?
Bellin: Man muss im Olympiastadion mit dem Aufzug in das vierte Untergeschoss hinunterfahren oder über die Stadientreppen runtergehen, dann ist man auf Höhe der Rasenfläche. Das Altarkreuz, was wir haben, ist sozusagen die Mittellinie des Stadions. Deshalb können wir immer behaupten, dass wir das Herz des Stadions sind, da schlägt das Herz dieser Kapelle. Weil auf der Rückseite der Kapelle die Players Lounge für die Fußballer ist, sind wir die Prayers Lounge, die eigentlich die entscheidendere ist.
DOMRADIO.DE: Wie bereiten Sie sich als Stadionseelsorger auf ein großes Ereignis wie die Europameisterschaft vor?
Bellin: Das Schwierige bei so großen Ereignissen ist, dass die Verantwortlichen nicht im Blick haben, dass es dort so etwas gibt. Man muss sich quasi anbieten. In diesem Jahr war das Pech, dass zwar die Mitarbeiter für die Kapelle akkreditiert wurden, aber dann von der UEFA die Aussage kam, dass keine Veranstaltungen im Bereich der Kapelle stattfinden sollen. Das war nicht gewünscht.
Das finde ich persönlich schon immer sehr nachteilig. Man kann den Personenkreis aussuchen, der dorthin geht. Das könnten zum Beispiel nur die Spieler sein, wie im Jahr 2006. Damals hat die deutsche Nationalmannschaft bei der Sommermärchen-WM dort Andachten gefeiert.
Beim DFB-Pokalendspiel liegt es oft in der Sicherheitszone, da wird es dann schwierig. Aber bei normalen Bundesligaspielen gibt es vor jedem Spiel einen Gottesdienst, den mein evangelische Freund und Kollege und ich dann gemeinsam machen.
DOMRADIO.DE: Am Sonntag tritt das katholisches Land Spanien gegen das anglikanische Land England an und das mitten im säkularen Berlin. Stadion-Seelsorge findet da wahrscheinlich gar nicht statt, oder?
Bellin: An diesem Sonntag überwiegt für die meisten der Eventcharakter. Die eigentlichen Fußballfans kommen kaum ins Stadion, damit fängt es schon an. Aber im Stadion selber wird kein Gottesdienst stattfinden. Das ist richtig.
Aber eine schöne Geschichte kann ich noch erzählen: Als 2006 das Endspiel stattfand, gab es ein Sportfoto des Jahres im Kicker. Italienische Spieler sind vor dem Endspiel in der Kapelle gesehen worden, die französischen Spieler nicht. Wie es ausgegangen ist, das wissen Sie. Ich sage immer: Nicht wer am lautesten in der Kapelle betet, gewinnt Titel, sondern jeder, der in der Kapelle betet, ist schon Gewinner.
DOMRADIO.DE: Wie kann die Bundesliga von dieser EM Ihrer Meinung nach profitieren?
Bellin: Wenn man sich die Spiele der vergangenen Wochen angeschaut hat, finde ich es beeindruckend zu sehen, welche Formen an Fankulturen sich gezeigt und entwickelt haben. In den wenigsten Fällen war es ein Gegeneinander, sondern oft ein Miteinander. Das würde ich mir für die Bundesliga und auch die zweite Liga wünschen, dass die Fans miteinander agieren und nicht gegeneinander. Dann würden uns viele unschöne Szenen im Bereich und im Umfeld der Spiele erspart bleiben.
Man sieht, wie Fußball verbinden kann, sowie auch Religion verbinden kann. Ich finde es immer besonders beeindruckend, wenn bei uns im Stadion Fans unterschiedlicher Mannschaften zusammenkommen, man sich beim Vaterunser an die Hand fasst und wir uns vergewissern, dass Gott unser aller Vater ist. Dann heißt das, dass wir untereinander Schwestern und Brüder sind.
Das Interview führte Tobias Fricke.