DOMRADIO.DE: In seiner Anfangszeit stieß der christliche Glaube auf massiven Widerstand. Wurde Jesus da auch als Gotteslästerer angesehen, weil er sich als Gottes Sohn bekannte?
Prof. Dr. Gerd Schwerhoff (Professur für Geschichte der Frühen Neuzeit an der TU Dresden): Ja, es war ja die Messiasidentität, die ihm nach den Berichten des Neuen Testamentes zum Vorwurf gemacht wurde, als er vor dem Hohepriester Kaiphas stand und sich als Messias bekannte. So reagierte der Hohepriester damit, dass er seine Kleidung zerriss, traditionell das Zeichen, der Abscheu und der Irritation über diese Gotteslästerung und eben Jesus als Blasphemiker, als Gotteslästerer verurteilte. Insofern steht tatsächlich nach dem Bericht des Markus- und des Matthäusevangeliums am Anfang oder in der Mitte der Passionsgeschichte der Vorwurf der Gotteslästerung.
DOMRADIO.DE: Das kann man auch ein bisschen verstehen. Es ist ja provokant und irgendwie schon gotteslästerlich, wenn da einfach plötzlich jemand allen erzählt, er sei Gottes Sohn. Und dann machen eigentlich auch noch ziemlich viele mit, oder?
Schwerhoff: Man muss sagen, dass die Passionsgeschichte gerade an diesem Punkt, wie überhaupt der gesamte Prozess gegen Jesus, ja voller Fragezeichen ist. Insofern wissen wir gar nicht, was da wirklich historisch verbürgt ist. Nach dem biblischen Vorbild, dem alttestamentlichen Vorbild, wäre eigentlich die Strafe der Gotteslästerung die kollektive Steinigung durch die jüdische Gemeinde gewesen.
Stattdessen haben wir dann den Prozess vor Pontius Pilatus, sozusagen das römische Gerichtsverfahren. Also die ganze Geschichte ist durchaus rätselhaft. Und wir müssen ja auch realisieren, dass der Vorwurf der Gotteslästerung dann ganz schnell von den Christen an die Juden zurückgegeben wurden, die ihren Messias, ihren Sohn Gottes gekreuzigt hatten.
DOMRADIO.DE: Gibt es auch dafür dann früher Belege und Zeugnisse?
Schwerhoff: Die gibt es. Nach jüdischer Auffassung gibt es viel Hohn und Spott, der über diesen Jesus ausgegossen wurde. Es gibt jüdische Gegenerzählungen zu den christlichen Evangelien, aber die konnten sich natürlich in der Diaspora weniger machtvoll durchsetzen als dann die christlichen Erzählungen über die gotteslästerlichen Juden, die den Messias hingerichtet haben und damit sozusagen eine Erbschuld auf sich geladen haben, also die der christliche Vorwurf der Gotteslästerung traf. Der traf nicht die Juden allein, aber doch sehr stark.
DOMRADIO.DE: Und dann steht in den Zehn Geboten "Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes nicht missbrauchen." Ist das der allererste Versuch eines Verbotes jedweder Gotteslästerung?
Schwerhoff: So kann man das sehen. Das Blasphemieverbot rangierte auch immer in den christlichen Normen, ob den weltlichen Rechten oder auch den kirchlichen Rechten, ganz oben. Es war eine sehr hochgeschätzte Verbotsnorm. Gleichwohl waren es nicht nur die anderen, die die Christen als Gotteslästerer bezichtigten, sondern Gotteslästerung wurde seit der Spätantike und dann verstärkt eigentlich seit dem hohen Mittelalter als eine Tatsache angesehen, die mitten unter den Christen alltäglich passierte.
Man könnte provokativ sagen: Es gab kaum eine Religion, schon gar unter den monotheistischen Religionen, wo die Gotteslästerung, das Fluchen und das Schwören so alltäglich praktiziert wurde wie innerhalb des Christentums von Christen selber.
DOMRADIO.DE: Und dann hat es noch eine ganze Weile gedauert, bis Gotteslästerung vom Kaiser offiziell zur Straftat erklärt wurde. Wie ist es denn dann dazu gekommen?
Schwerhoff: Das war zum ersten Mal unter Justinian im sechsten Jahrhundert nach Christus der Fall, der das Gotteslästerungverbot als ein Zeichen einsetzt, um seine Disziplinierung, Bemühungen, seine Folgsamkeit gegenüber den christlichen Geboten zu unterstreichen. Und dieses Gebot wurde dann zur Blaupause für viele mittelalterliche und frühneuzeitliche Verbote gegen Gotteslästerung, die aber gar nicht verhinderten, dass viele Christen in ihrem Alltag große und kleine Gotteslästerungen tatsächlich ausübten.
Offensichtlich lud dieser christliche Glaube, in dem der menschgewordene Gott im Mittelpunkt steht, ganz besonders dazu ein, sich zum Beispiel mit seiner Körperlichkeit auseinanderzusetzen und seine Körperglieder zu schmähen und zu fluchen.
DOMRADIO.DE: Aber kann man denn eigentlich überhaupt über Gott lästern? Ist Gott nicht eigentlich viel zu allmächtig und erhaben? Wir betrachten ihn als eigentlich als das Allumfassende. Das kann doch eigentlich nur dazu führen, dass es Menschen gar nicht gelingen kann, ihn irgendwie mit Lästerungen zu verletzen.
Schwerhoff: Sie bringen ein aufklärerisches Argument, das in der Aufklärung gerade von Theologen und Juristen auch vorgebracht worden ist. In der Zeit davor sah man das etwas anders. Da war es ein sehr menschlicher, ein sehr anthropomorpher Gott, den man sich dachte, ein Gott, der zornig sein konnte. Das hatten wir ja schon im Alten Testament. Ein Gott, der seine Herabwürdigungen, eben gerade die Zweifel an seiner Allmacht und seiner Unbegreiflichkeit sehr ungnädig zur Kenntnis nahm und von der menschlichen Gemeinschaft verlangte, die Gotteslästerer streng zu bestrafen. Andernfalls drohten göttliche Sanktionen, Pest, Hungersnot und andere Katastrophen.
Dieses anthropomorphe Gottesbild kann man im Medium der Blasphemie besonders gut zu greifen bekommen. Und deswegen wurde die Ehrverletzung Gottes auch sehr gerne von der menschlichen Gemeinschaft durch die Minderung gegenüber den Gotteslästerern beantwortet.
DOMRADIO.DE: Wenn man heute über Blasphemie redet, dann geht es dabei in erster Linie um die Verletzung religiöser Gefühle einer Glaubensgemeinschaft. Welchen Stellenwert haben die denn in einer freien Gesellschaft mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung?
Schwerhoff: Das ist die große Streitfrage. Und wir sehen ja seit rund 30 Jahren, dass im Medium der Blasphemie über das Verhältnis von Meinungsfreiheit und Respekt vor anderen Religionen gestritten wird. Was das Ganze eben so schwierig und so gravierend macht, ist, dass es nicht mehr um ein Religion geht oder um eine rein religiöse Frage, sondern eben auch stark um einen interkulturellen Konflikt und nicht allein um theologische Fragen wie: Welcher Gott ist der Richtige?
Sondern wenn sich eine Religionsgemeinschaft, insbesondere die Muslime gerade innerhalb von westlichen Gesellschaften, wo sie als Minderheiten leben, in ihren Gefühlen verletzt fühlen, dann wird damit eine ganz fundamentale, interkulturelle Konfliktlinie eröffnet.
DOMRADIO.DE: Ist das dann auch die Gemeinsamkeit von Blasphemie und Hassrede?
Schwerhoff: Blasphemie ist ganz definitiv eine Variante der Hassrede. Man könnte vielleicht sogar sagen, es ist eine Blaupause, also ein Modell für andere Formen von Hassreden. Wir bringen Blasphemie immer eng mit Religion in Verbindung. Wenn man Blasphemie aber als die Herabsetzung des Heiligen versteht, dann ist ja die Frage: Was ist das Heilige in säkularen Gesellschaften oder postreligiösen Gesellschaften?
Ist das Heilige dann vielleicht nicht mehr das religiöse Heilige, sondern sind das kulturelle Werte? Dann ist das das Volk, das als höchste Instanz, als quasi geheiligte Instanz gilt und dessen Herabsetzung dann in populistischen Bewegungen als Sakrileg gilt und heftig beklagt wird. Also wir sind bei den Blasphemie-Diskussionen mitten in diesen Hassrede-Debatten der Gegenwart drin.
DOMRADIO.DE: In vielen Ländern, besonders in muslimischen Ländern muss man mit harten Strafen rechnen, wenn man sich kritisch zur Religion äußert. Bei uns ist das jetzt nicht so, wie geht das zusammen oder wie kann man da zueinander finden?
Schwerhoff: Ich denke, wir müssen einfach wissen, was wir tun. Die Geschichte - und ich bin ja in erster Linie Historiker - gibt ja keine Handlungsanleitung, sondern höchstens eine bessere Grundlage dafür, dass wir wissen, was wir tun. Im Zweifelsfall sollte natürlich, würde ich als westlicher Staatsbürger sagen, die Meinungsfreiheit nicht eingeschränkt werden. Und interessanterweise plädieren ja auch kaum noch Vertreter der christlichen Kirchen dafür, den Blasphemieparagraphen, der ja auch bei uns noch existiert in 166 StGB, auszuweiten oder sehr, sehr hart anzuwenden, sondern die Meinungsfreiheit gilt da als ein hohes Gut.
Aber trotzdem müssen wir natürlich wissen, was wir tun, wenn wir Religionsspot ausüben. Und das hat dann im interkulturellen Kontext eine andere Fallhöhe, als wenn wir das innerhalb des Christentums tun, was eben auch eine lange Tradition hat und vielleicht deswegen eine größere Toleranz genießt, nicht nur durch die Aufklärung, sondern auch durch die lange christliche Geschichte der Blasphemie.
DOMRADIO.DE: Das heißt, wenn zum Beispiel ein Frosch ans Kreuz genagelt wird oder im Kölner Dom eine nackte Frau auf den Altar springt, dann gehen wir Christen auch mit Blick auf unsere Geschichte einfach unterschiedlich damit um oder bzw. nehmen das dann vielleicht nicht so beleidigend wahr?
Schwerhoff: Es ist ja schon als beleidigend wahrgenommen worden. Jetzt mit Blick auf diese nackte Frau auf dem Altar haben wir natürlich auch als Christen, selbst wenn viele das doch noch verletzt und sich viele Besucher damals davon verletzt gefühlt haben, im Blick, dass damit eine Form von Kritik an einer patriarchal organisierten christlichen Kirche verbunden war und nicht in erster Linie ein Akt des fehlenden Respekts vor dem Christentum an sich.
Solche Differenzierungen zu treffen, fällt uns vor dem Hintergrund der eigenen Geschichte leichter, weil es eben auch nicht die Frage ist, dass da unterschiedliche Kulturen aufeinandertreffen, als wenn ein Muslim sich beleidigt fühlt, weil ein als Christ wahrgenommener Mensch den Propheten Mohammed dargestellt hat oder ihnen in beleidigender Weise bezeichnet oder beschrieben hat.
Zur Info: Mit der Geschichte der Blasphemie hat sich Prof. Gerd Schwerhoff ausführlich im Buch "Verfluchte Götter" befasst.