Die Bekämpfung von sexuellem Missbrauch müsse von der Politik in Bund und Ländern als nationale Aufgabe mit hoher Priorität verstanden werden, sagte Rörig am Dienstag bei einer Online-Tagung. Dies sei leider noch nicht in allen demokratischen Parteien angekommen, wie derzeit in vielen Wahlprogrammen und Entwürfen dokumentiert werde. "Ich hoffe, dass sich da in Zukunft auch das Bewusstsein in der Politik an dieser Stelle positiv ändern wird."
Ausgewählte Schreiben ausgewertet
Der Beauftragte äußerte sich bei einer Tagung zum Abschluss eines Forschungsprojekts, bei dem 229 Briefe und E-Mails ausgewertet wurden, die neben Hunderten anderen an Rörigs Vorgängerin Christine Bergmann in deren Amtszeit geschickt worden waren. Die ehemalige Bundesministerin war 2010 und 2011 erste Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung und hatte unter anderem die Kampagne "Sprechen hilft!" initiiert.
Für das Projekt wurden die ausgewählten Schreiben unter Einbindung von Betroffenen ausgewertet. Ziel war, Betroffenengruppen und Tatkontexte besser beschreiben zu können. Auch sollte das Wissen über die Verarbeitung von in der Kindheit erfahrener sexualisierter Gewalt erweitert werden. Die Hälfte der beschriebenen Missbrauchsfälle fand in familiärer Umgebung statt, etwa ein Drittel in Institutionen wie Heimen oder Internaten.
Erfahrungen maßgeblich für Bewältigung
Zugleich habe sich in den Schilderungen gezeigt, dass Erinnerungen und Auswirkungen des Missbrauchs auch nach Jahren von Stabilität wieder aufbrechen könnten, hieß es. Eine wesentliche Rolle in der Bewältigung des Erlebten komme den Erfahrungen mit dem Unterstützungssystem und anderer Hilfen zu.
Das Projekt zeige, wie wichtig es sei, Stimmen von Betroffenen Gewicht zu geben, sagte Rörig. Es zeige aber auch, wie enttäuschend und zermürbend es sei, wenn Erwartungen geschürt und dann enttäuscht würden.