domradio.de: Als Signal des Widerstands bezeichnete es das Wall Street Journal. Andere Journalisten in den USA schrieben, die amerikanischen Bischöfe hätten Papst Franziskus den ausgestreckten Mittelfinger gezeigt. In ihrer Herbstvollversammlung haben die US-Bischöfe nun anstelle des als papsttreu geltenden Kardinal Cupich, Erzbischof Nauman zum Vorsitzenden des wichtigen Pro-Life Komitees gewählt. Ist die US-Bischofskonferenz wirklich so zerstritten?
Prof. Dr. Godehard Brüntrup (Jesuitenpater aus München): Die Journalisten lieben es, auch kleine Dinge aufzublasen, um große Schlagzeilen produzieren zu können. Es herrscht in der Amerikanischen Bischofskonferenz seit Jahrzehnten ein Konflikt, ob man die Abtreibungsfrage stark ins Zentrum setzen solle oder eher die generelle Frage nach dem Schutz des Lebens. Zum Schutz des Lebens gehört natürlich viel mehr, etwa die Todesstrafe oder das soziale Engagement.
Diese beiden Lager haben an sich mit Papst Franziskus wenig zu tun. Die gibt es schon lange.
domradio.de: Das Thema Abtreibung ist in den USA ein sehr großes und emotionalisierendes Thema. Auch Trump macht damit Politik. Ist es ein Thema, das die Gesellschaft spaltet und bei dem viele Katholiken hin- und hergerissen sind?
Brüntrup: Wir können uns in Deutschland gar nicht vorstellen, wie liberalisiert die Abtreibung in den USA ist, weil sich bei uns die Kirchen stark in die Gesetzgebung haben einbringen können. Die amerikanischen Kirchen haben in der Gesetzgebung komplett verloren, was die Abtreibungsfrage angeht. Es hat sich ein Flügel innerhalb der Kirche gebildet, zu dem auch Erzbischof Josef Naumann gehört, der mit sehr klaren und fast schon militanten Worten die Abtreibungsregelung in den USA anprangert.
Seit Jahrzehnten gibt es indes auch eine andere Richtung, die der Meinung ist, es sei gesellschaftlich viel effektiver, wenn man sich nicht ausschließlich auf das ungeborene Leben konzentriert, sondern sich als Anwälte des Lebens überhaupt für das Leben einsetzt; für die alten und schwachen Menschen, die Ungeborenen, diejenigen, die von der Todesstrafe bedroht sind.
In der Abstimmung der US-Bischofskonferenz hat sich relativ knapp die Position durchgesetzt, als Vorsitzenden des Lebensschutz-Komitees einen Erzbischof zu wählen, der dafür bekannt ist, "knackig" und öffentlichkeitswirksam profiliert die amerikanischen Verhältnisse anzuprangern. Daraus eine Kampfabstimmung gegen den Papst zu machen, halte ich jedoch für konstruiert.
domradio.de: Die Wahl von Erzbischof Naumann ist aber eine beispiellose Zurückweisung von Kardinal Cupich, oder?
Brüntrup: Es ist insofern eine Zurückweisung, weil traditionell auf diesem Posten ein Kardinal sitzt und jetzt eben "nur" ein Erzbischof. Es ist aber auch so, dass man traditionell jemanden wählt, der sich bei diesem Thema in der Vergangenhiet besonders profiliert hat. Das ist bei Erzbischof Naumann der Fall. Man kann also sagen, man hat eineTradition bewahrt, aber mit einer anderen gebrochen.
Daraus eine enorme Krise zu machen und zu sagen, dass man einen Bruch mit Franziskus wollte, halte ich für völlig übertrieben.
domradio.de: Dann würden Sie auch nicht der Aussage zustimmen, dass viele amerikanische Bischöfe die Aussagen von Franziskus zur Ehe und anderen Lebensthemen nicht für katholisch genug halten?
Brüntrup: Die amerikanische Kirche ist gerade während der Amtszeit von Papst Johannes Paul II. eher konservativ geworden. Im Vergleich zur Deutschen Bischofskonferenz gibt es in der Amerikanischen einen Flügel, der deutlich konservativer ist. Da hört man natürlich auch kritische Töne in der Frage der Zulassung von wiederverheirateten Geschiedenen zu den Sakramenten – vielleicht deutlicher als in Deutschland. Es gibt in den USA eine stärkere Gruppe von Konservativen, aber auch das ist nichts Dramatisches. Man kann überhaupt nicht davon sprechen, dass sich die US-Bischofskonferenz gegen den Papst positioniert.
domradio.de: Es gibt aber auch Themen – wie Rassismus und Einwanderung – bei denen die US-Bischöfe einheitlicher hinter Franziskus stehen, oder?
Brüntrup: Ich würde diese Themen – Einwanderung, Rassismus – immer von Franziskus trennen. Es sind traditionelle amerikanische Positionen, die die amerikanischen Bischöfe lange vor Franziskus und wahrscheinlich noch lange nach Franziskus vertreten werden. Noch einmal: Das alles auf Papst Franziskus hin zu politisieren, halte ich für falsch. Auch der vorher angesprochene Konflitk zwischen denjenigen, die den Schutz für das Leben weiter fassen wollen und denjenigen, die auf die Abtreibungsfrage zuspitzen wollen, bestand schon lange vor Franziskus in den 1970er/1980er Jahren. Der hat mit Franziskus wenig zu tun.
Das Gespräch führte Aurelia Rütters.