Bei der Vorstellung der Forschungsergebnisse am Mittwoch nannte die Sprachwissenschaftlerin Monika Schwarz-Friesel die wachsende Judenfeindschaft in der deutschen Gesellschaft ein "besorgniserregendes Phänomen". Dazu trügen vor allem Soziale Medien bei. Der Zentralrat der Juden in Deutschland bezeichnete den im Internet verbreiteten Antisemitismus als "echte Bedrohung".
Judenfeindliche Verschwörungsfantasien
Für die Studie werteten Sprachforscher der TU seit 2014 merh als 300.000 Texte aus, die im Internet kursieren. Schnelligkeit, freie Zugänglichkeit, globale Verknüpfung und Anonymität förderten eine "ungefilterte und nahezu grenzenlose Verbreitung judenfeindlichen Gedankengutes", so das Urteil der Studie.
Judenfeindliche Verschwörungsfantasien gebe es in Blogs sowie Recherche- und Ratgeberportalen, unter Youtube-Videos, in Online-Buchläden, in Fan-Foren und Kommentarbereichen der Online-Qualitätsmedien. Vor allem über Twitter und Facebook verbreitete Aufrufe, gegen Judenhass zu demonstrieren, "sind innerhalb weniger Stunden infiltriert durch Texte mit zahlreichen Antisemitismen und Abwehrreaktionen".
Trotz unterschiedlicher politischer oder ideologischer Einstellungen seien die judenfeindlichen Einstellungen sehr einheitlich. Dominant sei die Vorstellung eines "Ewigen Juden". Selbst der muslimische Antisemitismus sei stärker von klassischen Stereotypen geprägt als von Feindbildern, die auf Israel bezogen seien.
Verbale Radikalisierung und Enthemmung
Zugleich sei israelbezogener Judenhass dabei, "ein 'politisch korrekter Antisemitismus' zu werden, da ihm in Zivilgesellschaft, Politik und Justiz der geringste Widerstand entgegen gesetzt wird", so Schwarz-Friesel. Da dieser Hass aber auf Stereotypen der klassischen Judenfeindschaft basiere, bestehe "die Gefahr einer weiteren Verbreitung und Normalisierung von Antisemitismus", bilanzierte Schwarz-Friesel.
Zentralrats-Präsident Josef Schuster betonte, damit sei empirisch belegt, was Juden schon lange empfänden. "Stück für Stück hat eine verbale Radikalisierung und Enthemmung stattgefunden, die uns mit tiefer Sorge erfüllt", so Schuster. "Denn Worten folgen irgendwann auch Taten."
Der Zentralrat fordert, das Netzwerkdurchsetzungsgesetz bald mit Blick auf die Eindämmung von Hassrede auf seine Wirksamkeit zu überprüfen und gegebenenfalls weitere Maßnahmen zu ergreifen. Auch müssen die Aufklärung über Antisemitismus im Netz verstärkt werden.