DOMRADIO.DE: Umfragen deuten darauf hin, dass der ANC von Nelson Mandela nach 30 Jahren ununterbrochener Macht seine Mehrheit verlieren könnte. Wie realistisch ist dieses Szenario?
Pfarrer Stefan Hippler (Ehemaliger Pfarrer der deutschsprachigen Gemeinde in Kapstadt): Das Szenario ist sehr realistisch, und wir sind alle sehr gespannt, wie es ausgehen wird. Wenn man zurückschaut, 2014 hatte der ANC 62 Prozent, bei der letzten Wahl 57 Prozent. Und jetzt rechnen mehr oder weniger alle Wahlbeobachter damit, dass der ANC unter 50 Prozent fallen kann. Das wäre sicherlich ein Einschnitt in die politische Situation Südafrikas.
DOMRADIO.DE: Sollte die Partei ihre Mehrheit tatsächlich verlieren, dann muss sie sich für die Regierungsbildung einen Koalitionspartner suchen. Es gibt viele kleinere Parteien, die sich gerade hervortun. Wer kommt da in Frage?
Hippler: Das ist schwierig zu entscheiden im Vorhinein. Es gibt ein Szenario, dass sie mit der DA, der Democratic Alliance, zusammen gehen könnten, also der größten Oppositionspartei. Das wäre sozusagen das Dreamteam.
Sie könnten mit der EFF, den Freedom Fighters, koalieren, die eher auf kommunistischer, kein Privatbesitz-Ebene, agieren. Das wäre das Horrorszenario. Aber was sehr oft auf Landesebene oder Städteebene geht, ist, dass man sich kleine Parteien sucht, um gerade so über die Mehrheit zu kommen. Das ist auch ein Horrorszenario, denn Koalitionen haben in Südafrika keine Tradition. Von daher wird es ganz schön bunt zugehen.
DOMRADIO.DE: Jetzt habe ich mehrfach "Horrorszenario" gehört von Ihnen. Wie realistisch ist das denn, dass es so kommt?
Hippler: Wir hoffen, dass der ANC so vernünftig ist, zumindest nicht mit den Freedom Fighters zusammenzugehen, also in Richtung Kommunismus abzudriften. Alles andere müsste man sehen. Aber es ist ein riesiger Lernprozess. Auch wenn ich Horror gesagt habe, es wird viele Hügel geben, die wir erklimmen müssen, national und auch auf Bundesländerebene.
DOMRADIO.DE: Aber offensichtlich ist, es wird irgendwas passieren. Was würde ein politischer Wechsel und ein Wandel für das Land, für Südafrika bedeuten?
Hippler: Wir sind momentan sehr stark angelehnt an Russland und an China. Da könnten sich Veränderungen durchaus abbilden, die interessant sein dürften. Es ist die Frage, wie es wirtschaftlich und mit der Korruption weitergeht. Das hat auf Weltpolitik, auf Flüchtlingsfragen, auf viele Fragen einfach einen Einfluss. Von daher ist die Entscheidung, die wir heute als Volk, als Südafrika fällen, auch für die Weltpolitik ganz wichtig. Südafrika ist auch immer noch sehr wichtig, wenn es um ganz Afrika geht.
DOMRADIO.DE: Wir schauen zurück auf 1994. Da erlebte Südafrika seine ersten freien Wahlen. Sie läuteten das Ende der Apartheid und den Beginn einer neuen Ära, der Demokratie, ein. Was ist davon noch übrig nach 30 Jahren?
Hippler: Wenn man ehrlich ist, ist viel Enttäuschung übrig. Man hatte wirklich gedacht, mit Demokratie und dem neuen Südafrika wird alles auf einen Schlag besser. Das ist ähnlich wie die blühenden Landschaften in Deutschland gewesen. Man hat viel versprochen und hat im Prinzip nicht alles halten können. Von daher ist viel Enttäuschung übriggeblieben.
Es sind einige Verbesserungen da, aber wir müssen uns wesentlich mehr anstrengen. Wir hoffen, dass diese Wahl dazu führt, dass diese Anstrengungen vermehrt werden und wir wirklich Demokratie erleben können, für jeden, auch für den, der im Township lebt.
DOMRADIO.DE: Wir schauen alle wirklich sehr gespannt auf diese Wahl heute. Wann können wir da mit Ergebnissen rechnen?
Hippler: Ich denke, die ersten Indikationen wird es sicherlich schon 24 Stunden danach geben. Aber es wird Tage, vielleicht sogar eine Woche dauern, bis das amtliche Ergebnis feststeht. Das dauert.
Das Interview führte Carsten Döpp.