DOMRADIO.DE: Warum war es Ihnen wichtig, von Seiten der evangelischen Kirche dabei zu sein?
Dr. Bertold Höcker (Superintendent des Kirchenkreises Berlin Stadtmitte der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz): Wenn fast eine Million Menschen auf den Beinen sind, um Gay Pride zu feiern, ist das für Berlin ein großes Ereignis und für uns die Gelegenheit, unsere Botschaft vielen Menschen nahezubringen.
DOMRADIO.DE: Wie kommt es bei den Teilnehmern an, dass Sie von kirchlicher Seite dort auftauchen?
Höcker: Wir sind jetzt seit sechs Jahren dabei und inzwischen entwickelt sich das zur Normalität, dass wir immer unter dem Label "Liebe tut der Seele gut" zusammen mit Juden und Muslimen einen Wagen machen.
DOMRADIO.DE: Aber gibt es da nicht auch Kritik? Queere Menschen und Religion - das ist oder war auch oft schwierig.
Höcker: Dass es schwierig war, ist klar. Aber nach der letzten Pressekonferenz sagte zum Beispiel ein ARD-Journalist: "Das war jetzt der Schulterschluss der queeren Community mit der Kirche". Es hat mich sehr gefreut, dass nach den Jahren des Aufbaus sich langsam rumspricht, dass man nun auch bei uns verschieden und gleichgeschlechtlich heiraten kann.
DOMRADIO.DE: Eine Ihrer Aktion beim Christopher Street Day war auch ein internationales Panel unter dem Motto "Religiös und Queer" mit Gästen aus vielen verschiedenen Ländern. Was ist dabei herausgekommen?
Höcker: Dabei herausgekommen ist, wie priviligiert wir hier sind und wie schwer es zum Beispiel die Aktivistinnen in Russland, Ghana oder auch in konservativ geprägten Ländern mit einer Machokultur haben, überhaupt eine Sichtbarkeit zu bekommen, weil in den meisten Ländern Homosexualität noch unter Strafe steht.
DOMRADIO.DE: Religion und queere Menschen - das ist auch auf katholischer Seite kein leichtes Thema. Was muss da aus Ihrer Sicht noch passieren?
Höcker: Ich glaube, die katholische Kirche tut sich immer noch sehr schwer damit, weil sie vom Naturrecht ausgeht. Wenn man davon ausgeht, dass Sexualität nur zur Fortpflanzung da ist, ist es für gleichgeschlechtliche Paare natürlich schwierig. Wir gehen aber von der Liebe aus und Liebe kann nicht Sünde sein. Von daher ist es für uns leichter. Aber ich glaube, es wird nur gehen, wenn durch #OutInChurch oder andere Aktivitäten innerhalb der katholischen Kirche mehr und mehr sichtbar wird, dass natürlich auch queere Menschen Teil der katholischen und der evangelischen Kirche sind.
DOMRADIO.DE: Es gibt aus den Religionen aber auch nach wie vor Kritik, zum Beispiel der Forderung nach der Gleichberechtigung queerer Menschen. Was antworten Sie darauf?
Höcker: Also von "den Religionen" muss ich die evangelische Kirche erst mal ausnehmen. Bei uns sind queere Menschen absolut gleichberechtigt - in allen evangelischen Landeskirchen. Aber wir haben gerade gesehen, dass von muslimischer Seite enorme Vorbehalte bestehen. Wir kooperieren hier mit der Ibn-Rushd-Goethe-Moschee. Da haben wir eine Regenbogenfahne gehisst, zusammen mit anderen aufgeklärten Teilen von Religion. Dagegen gab es eine weltweite Hasskampagne.
DOMRADIO.DE: Würden Sie wirklich sagen, es gibt niemanden auf evangelischer Seite, der da seine Probleme hat?
Höcker: Also ich sehe es zurzeit nicht. Ich kenne keine offizielle Äußerung.
DOMRADIO.DE: Nicht von offizieller Seite - auch wenn es sein kann, dass einzelne Leute da durchaus anders denken?
Höcker: Natürlich, das ist ja immer so. Nur was sich herausgestellt hat, ist, dass es für die meisten ein kulturelles, aber kein theologisches Unbehagen ist. Wir haben in unserer Kirche einen riesigen Konsultationsprozess hinter uns, und die Einsprüche kamen immer nur aufgrund kulturellen Unbehagens. Es gab kein einziges theologisches Argument. Und in der evangelischen Kirche ist die Theologie die Leitwissenschaft. Wenn theologisch etwas klar ist, dann wird es so gemacht.
Das Interview führte Hannah Krewer.