DOMRADIO.DE: Wie haben Sie Chanukka in diesem Jahr begangen?
Bettina Levy (Vorstandsmitglied der Synagogen-Gemeinde Köln): Chanukka haben wir in diesem Jahr wie in jedem Jahr begangen. Es ist ein besonders dunkles Jahr. Deshalb brauchen die jüdischen Menschen und braucht vielleicht die ganze Welt ein bisschen mehr Licht als sonst. Das Licht hat eine andere Bedeutung gewonnen.
So ist das Ölkännchen, das schon vor dieser langen Zeit viel länger Licht gespendet hat, als es eigentlich vorgesehen war, zu einem Symbol geworden. Statt für einen Tag hat der Inhalt dieses Ölkännchens für sieben Tage Licht gereicht. Das ist das Wunder von Chanukka, das wir jedes Jahr feiern.
DOMRADIO.DE: Bei der Feier gibt es bestimmte Traditionen. Wie genau feiern Sie denn das Fest?
Levy: Chanukka ist ein sehr von Traditionen geprägtes Fest. Wir essen bestimmte Speisen, die das Öl auch auf den Tisch bringen. Wir essen in Öl frittierte Dinge. Wir essen Berliner, wir essen Krapfen, wir essen Reibekuchen. Das sind ganz traditionelle Dinge, auf die sich gerade Kinder sich jedes Jahr freuen. Es ist ein sehr familiäres Fest.
Man feiert jeden Abend, indem man eine Kerze mehr anzündet, also am ersten Tag eine Kerze, am zweiten Abend zwei Kerzen – und man nimmt sich Zeit dafür. Man lädt Freunde ein, man ist zu Hause. In den letzten Jahren hat sich eine Tradition ergeben, dass es auch ein öffentliches Chanukka-Lichteranzünden in den Städten gibt.
DOMRADIO.DE: Es ist eigentlich ein Fest der Freude. Jetzt ist es eine sehr dunkle Zeit. Israel ist gerade im Ausnahmezustand. Im Gazastreifen herrscht Krieg. Inwiefern haben sich diese Ereignisse auf die Festtage ausgewirkt? Konnte man da überhaupt ausgelassen feiern?
Levy: Juden und Jüdinnen weltweit sind im Ausnahmezustand. In Israel herrscht Krieg, nicht nur im Gazastreifen. Das Massaker, mit dem Israel am 7. Oktober überfallen wurde, konfrontiert uns alle mit diesem Krieg. In Israel, aber auch überall sonst. Antisemitische Vorfälle sind eklatant gestiegen. Es gibt eine ganz neue Bedrohungslage.
Trotzdem feiern wir das Lichterfest – gerade jetzt. Es ist ja auch ein Fest, das den Sieg des Lichtes über die Dunkelheit feiert. Vielleicht brauchen wir das alle gerade.
DOMRADIO.DE: Prominent in den Medien war unter anderem die Attacke eines rechtsradikalen Politikers in Polen. Er hat mit einem Feuerlöscher einen Leuchter besprüht. Auch sonst gab es vermehrt antisemitische Angriffe. Wie sehr besorgt Sie das?
Levy: Wenn wir die Bilder aus Polen rekapitulieren, ist jemand auf das Licht losgegangen. Das ist die Gesamtsituation, die wir im Moment haben. Natürlich besorgt uns das. Trotzdem lassen wir uns weder von der Sorge noch von Angst leiten. Das ist etwas, was wir als Gesamtgesellschaft in den Griff bekommen müssen. Antisemitismus betrifft nicht nur Juden und Jüdinnen.
Wir sind zwar das Opfer von Antisemitismus, wir sind die Ersten, die damit konfrontiert werden. Aber es funktioniert ohne Juden. Es gibt Antisemitismus ohne Juden. Es richtet sich nicht nur gegen uns, es richtet sich gegen die freien Werte. Es richtet sich gegen die Werte unserer Gesellschaft.
Daher müssen wir alle dagegen angehen. Das tun wir mit vielen großen und kleinen Zeichen. Natürlich müssen wir das viel mehr tun.
DOMRADIO.DE: Für Solidarität hat sich auch Bundeskanzler Olaf Scholz zu Beginn des Lichterfestes ausgesprochen. Er hat vor dem Brandenburger Tor selbst eine Kerze angezündet. Was bedeuten Ihnen diese Gesten?
Levy: Es ist ein sehr deutliches und ein sehr visuelles Fest mit der Kerze und dem Licht. Die Bilder, die dahinter stehen, kann man sehr gut verstehen und sie sind sehr eindringlich. Deswegen ist das Zeichen, wenn unser Bundeskanzler Olaf Scholz eine Kerze zündet, schon ein sehr deutliches.
Deutlich waren aber auch die Worte von Berlins Bürgermeister. Die sind uns wichtig. Das Wesentliche ist natürlich, dass den Worten Taten folgen. Da fühlen wir uns unterstützt, aber es geht noch viel mehr.
Wir gehen aber davon aus, dass die Politik das erkannt hat, dass die Politik die gesamtgesellschaftliche Bedrohung, die von Antisemitismus und von Rassismus ausgeht und die von Angriffen auf unsere Werte ausgeht, erkannt hat.
Es kommt jetzt darauf an, was wir tun? Was macht die Politik, was macht die freie Welt? Da muss wesentlich mehr passieren.
Das Interview führte Elena Hong.