domradio.de: Laut der Wochenzeitung "Zeit" wird es in diesem Jahr eine Studie über den Bluttest geben - wenn die positiv verläuft, könnte es sein, dass die Krankenkassen Schwangeren ab 35 Jahren die Kosten für den Test bezahlen müssen – was halten Sie davon?
Andreas Lob-Hüdepohl (Professor für theologische Ethik an der Katholischen Hochschule für Sozialwesen Berlin und Mitglied im Zentralkomitee der Deutschen Katholiken): Nichts, weil die Pflichtleistung einer Krankenkasse umgekehrt auch den Druck auf potenziell betroffene Eltern oder besonders auf die Schwangere erhöhen wird, sich auch einer solchen Untersuchung zu unterziehen und wenn tatsächlich eine Anomalie festgestellt wird, dann auch die Schwangerschaft abzubrechen. Damit wird also zunehmend mehr die Pränataldiagnostik - denn das ist ja eine Variante der Pränataldiagnostik - einem selektiven Interesse untergeordnet und nicht mehr das, was es vor vielen Jahren mal war, eher einen therapeutischen Nutzen zu erzielen.
domradio.de: Mit dem Verfahren lassen sich wohl auch andere genetische Auffälligkeiten als Trisomie 21 aufspüren und so schon im Mutterleib mögliche Gendefekte erkannt werden. Das muss ja nicht immer zu einer Abtreibung führen, oder?
Lob-Hüdepohl: Das ist ja der entscheidende Punkt. Es war angetreten, dass man gendiagnostische Verfahren zu therapeutischen Zwecken entwickelte. Dass man entweder schon in utero, also im Mutterleib, während der Schwangerschaft mit einer entsprechenden Therapie beginnt oder aber dass in der pränatalen Phase, also in der Geburtsphase entsprechend Vorsorge gehalten wird, wenn also ein besonderes Risiko entsteht.
Mittlerweile haben sich therapeutische Interessen nicht durchsetzen können, weil sie bei vielen sogenannten Gendefekten auch kaum möglich sind und deshalb werden viele pränataldiagnostische Verfahren, unter anderem auch dieser Bluttest, schlicht zu selektiven Interessen eingeführt. Sobald eine Anomalie feststellbar ist, nicht nur das sogenannte Down-Syndrom, sondern auch andere Formen sogenannter Anomalien, wird davon ausgegangen, dass eine Schwangerschaft nicht mehr fortgesetzt, sondern dass eine Schwangerschaft abgebrochen wird. Das haben wir bereits heute schon. Auch heute erblicken 95 Prozent der am Down-Syndrom erkrankten oder auch geschädigten Kinder, Embryos nicht mehr das Licht der Welt - jedenfalls nicht mehr lebend. Das selektive Interesse ist ganz stark im Vordergrund und wird durch die Übernahme einer Pflichtkrankenkassenleistung natürlich nochmals erhöht. Darin liegt jetzt der qualitativ neue Schritt zwischen der Markteinführung 2012. Diese Bluttests gibt es ja schon in Deutschland, sie werden auch angewandt, sie werden nur noch nicht von allen Krankenkassen bezahlt. 20 Krankenkassen bezahlen das übrigens schon, aber eine Pflichtleistung erhöht den Druck auf Eltern tatsächlich, diese Pflichtleistung auch in Anspruch zu nehmen, denn sie müssen sich natürlich hinterher rechtfertigen vor ihren Familien, vor ihren Freunden, warum sie bei einem erhöhten Risiko diese sogar als Pflichtleistung angebotene Untersuchung nicht in Anspruch genommen haben.
domradio.de: Die Bundesvereinigung Lebenshilfe geht ebenfalls auf Distanz zu dem Vorhaben. Sie sieht mit dem Bluttest das Lebensrecht behinderter Menschen von Menschen mit dem Down-Syndrom infrage gestellt. Was würden Sie Eltern sagen, die eine solche Diagnose über ihr Kind im Mutterleib erhalten?
Lob-Hüdepohl: Eine solche Diagnose ist nie prickelnd, um das sehr deutlich zu sagen. Es bedeutet eine erhöhte Aufmerksamkeit für Kinder. Es bedeutet eine erhöhte Rechtfertigung auch gegenüber der Umwelt, Lebensträume werden zerstört. Das muss man so sehen. Auf der anderen Seite entwickeln sich auch andere Lebenserfahrungen. Wir wissen von sehr sehr vielen Eltern, die am Down-Syndrom erkrankte Kinder großziehen, welches Lebensglück sie bekommen. Es ist jetzt nicht ein Pfeifen im dunklen Wald, sondern es sind empirisch nachweisbare Qualitäten, die ein solches Leben mit sich bringt.
Es gehört nur mittlerweile zu unserer Gesellschaft, dass wir alles, was nicht 100-prozentig funktioniert, scheinbar als eine Minusvariante des wahrlich glücklichen Lebens interpretieren. Dazu gehören nicht nur Formen von Behinderungen, sondern auch von chronischen Erkrankungen und dergleichen mehr. Es wird hier ein Bild von sogenannter Leidfreiheit stark gemacht, was letztendlich nur unmenschlich ist. Heute lebende Menschen, die chronisch erkrankt sind oder die an einer Behinderung leiden, werden damit sozusagen abgewertet. Die Behinderung erfolgt ja durch die Gesellschaft, die aufgrund eines bestimmten Merkmals Menschen nicht voll teilhaben lässt.
Insofern werden jetzt nicht nur die zukünftigen Kinder, die erkrankt sind, abgetrieben, sondern es fällt auch ein zunehmender Schatten auf jene Menschen, die heute unter Bedingungen der Behinderung leben müssen und das ist natürlich ein zweites sehr fatales Zeichen.
Das Interview führte Verena Tröster.