DOMRADIO.DE: Wie gefällt Ihnen die Idee, Maria als Gebärende darzustellen?
Dr. Guido Schlimbach (Künstlerischer Leiter der Kunststation Sankt Peter in Köln): Zugegeben, ich war am Anfang etwas irritiert. Aber bei näherem Nachdenken und auch nach Diskussionen im Kollegenkreis hatte ich einen Eindruck, warum das heute passiert. Die Inkarnation, das heißt die Menschwerdung Gottes, ist ein so wichtiger Teil unserer Dogmatik, unserer Theologie überhaupt.
Es gibt so viele Millionen Mariendarstellungen. Wie kommt es eigentlich, dass genau dieser Moment, an dem Jesus auf die Welt kommt, so nie dargestellt worden ist? Dass das jetzt gerade aus feministischer Ecke – die Künstlerin Esther Strauss aus Wien bezeichnet sich so – passiert, das irritiert manche. Mich hat es auch irritiert. Aber bei näherem Betrachten finde ich es eigentlich eine folgerichtige und natürliche Darstellung.
DOMRADIO.DE: Kann man sagen, dass hier die Aussagen des Konzils von Ephesus (auf ihm wurde Maria als Gottesgebärerin [theotokos] bezeichnet; Anm. d. Red.) in die Gegenwart geholt werden?
Schlimbach: Ja, natürlich. Wie kommt es eigentlich, dass wir das liebe Jesulein immer nur auf Taschentüchern, auf Heu, auf Stroh, immer schon fertig gewickelt in der Krippe liegen sehen und uns überhaupt nichts dabei denken, dass aber der eigentliche Geburtsvorgang immer ausgespart wird?
Das mag ja manchen zu intim sein, das mag für manche verstörend sein. Aber es gehört zur Menschwerdung mindestens dazu, wie das Sterben. An den verreckten Jesus am Kreuz, den Nackten, den völlig Entblößten und Beschämten, an den haben wir uns alle gewöhnt und den hängen wir uns im Wohnzimmer auf.
DOMRADIO.DE: Die Figur ist bewusst als feministische Provokation gedacht. Ist denn dafür der Sakralraum der richtige Ort? Sollte man das nicht besser in einem Museum aufstellen?
Schlimbach: Mir gefällt jetzt schon dieses konzeptionelle Provozieren nicht, denn Esther Strauss ist nur eine von verschiedenen Künstlerinnen, die vom Dom zu Linz aus Anlass des Domjubiläums eingeladen worden sind, eine Serie von Ausstellungen mit zeitgenössischen Mariendarstellungen zu präsentieren.
Esther Strauss wollte nicht provozieren, sondern es ist ihr ein Bild gelungen, das provoziert. Das ist ein Unterschied. Hier geht es um einen besonderen Blick auf die Jungfrau und Gottesmutter und beides ist ja für die Kirche und für die Verkündigung wichtig.
DOMRADIO.DE: Ein ganz prominenter Kritiker der Linzer Darstellung ist auch Gerhard Ludwig Kardinal Müller. Der beruft sich in einem Kommentar auf kath.net unter anderem auf die Liturgiekonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils, nach der Kunst "Zeichen und Symbole überirdischer Wirklichkeiten" sein soll und die Kirche "über die Werke der Künstler geurteilt und entschieden" habe, "welche dem Glauben, der Frömmigkeit und den ehrfurchtsvoll überlieferten Gesetzen entsprächen und als geeignet für den Dienst im Heiligtum anzusehen seien." Spricht das jetzt für oder gegen die Darstellung der Linzer Maria?
Schlimbach: Zunächst einmal ist Kardinal Müller sicherlich nicht der Maßstab aller Dinge. Wenn er das so sieht, ist das sein gutes Recht und ich möchte ihm da auch nicht zu nahetreten. Aber hier haben sich ja auch Theologinnen und Theologen Gedanken gemacht. Auch das Bistum ist als auftraggebende Institution mit beteiligt gewesen.
Und dann handelt es sich nicht um ein Andachtsbild. Als solches ist es nicht deklariert worden, sondern es ist ein in einer Serie von zeitgenössischen Mariendarstellungen entstandenes Bild, ein Vorschlag, eine Idee dieser Künstlerin, wie man der Person Mariens oder dem Wesen Mariens aus der heutigen Sicht, aus der heutigen Perspektive nahekommen kann.
Es ist auch nicht im Gottesdienstraum ausgestellt worden, sondern in einer Seitenkapelle des Doms, die für diese Ausstellungen zur Verfügung steht. Das heißt, wer da hineingeht, wusste, er geht in eine Kunstausstellung und ist nicht zum Beten eingeladen.
DOMRADIO.DE: Jetzt gibt es 11.000 Unterschriften, die für ein Entfernen der Skulptur sind. Darf ein Kunstgegenstand in der Kirche oder einem kirchlichen Seitenraum die Gläubigen derartig spalten?
Schlimbach: Ich denke ja. Das sollte man durchaus möglich machen. Spalten ist ja auch wieder relativ. Es spalten auch andere Dinge und auch diese Menschen, die ich in ihrer Frömmigkeit in keiner Weise einschränken möchte. Dennoch muss man die Ernsthaftigkeit sehen, mit der die Agierenden diese Ausstellung ermöglicht und auch durchgeführt haben.
Es geht hier nicht darum, die Gottesmutter zu diffamieren oder in irgendeiner Weise negativ darzustellen. Ganz im Gegenteil: es geht darum, ihre Mutterschaft und ihr Muttersein bildlich so hervorzuheben, dass es auch dem Unbeteiligten sehr nahegeht.
Insofern ist es ein wichtiger Beitrag, vielleicht gerade ein Gegenbild zu denen, die Jesus so clean und so soft immer wieder in die Schönwetterecke stellen, die ihn dann nur auf Heu und auf Stroh in Windeln gewickelt mit irgendwelchen Engeln, die da drüber schweben, sehen möchten.
DOMRADIO.DE: Nun ist der Statur durch eine unbekannte Person der Kopf abgesägt worden. Bildersturm hat es in unserer Kirche immer wieder gegeben, teilweise sogar auch von oben angeordnet. Was denken Sie in diesem Fall? Ist es ein Sakrileg?
Schlimbach: Ob es sich jetzt um ein Sakrileg handelt, weiß ich nicht. Es handelt sich hier um ein Menschenbildnis und ich finde es barbarisch. Es spricht gegen diejenigen, die das zu verantworten haben oder die das getan haben, aus welcher Ecke es auch immer herauskommt.
Wenn es aus der Ecke derer kommt, die diese Petition unterzeichnet haben, dann finde ich es sehr, sehr fragwürdig, dass diejenigen, die die Gottesmutter angeblich retten wollen oder ihr Ansehen retten wollen, ihr ausgerechnet den Kopf abschlagen. Das ist schon ein sehr zu verurteilendes Moment.
Das würde ich auch bei anderen Kunstwerken sagen: Ein Kunstwerk, das kann man kritisieren, das kann man ablehnen, man kann dagegen schreiben und sprechen, aber man zerstört es nicht.
Das Interview führte Jan Hendrik Stens.