DOMRADIO.DE: Wie in vielen anderen Ländern in Europa, ist auch in Deutschland der Rechtspopulismus auf dem Vormarsch. Für wie gefährlich halten Sie das?
Prof. Dr. Dr. Margot Käßmann (ev. Theologin, ehem. EKD-Ratsvorsitzende und Landesbischöfin von Hannover, Autorin): Ich halte das für sehr gefährlich. Es muss uns in der Tat Sorge machen, dass sich nach einer Zeit, in der wir gedacht haben, dass Europa zusammenwächst und nationale Grenzen keine große Rolle mehr spielen, auf ein Mal Nationalismus, völkisches Denken und Gerede von Bio-Deutschen umtreibt. Ich finde, dagegen muss man Haltung zeigen.
DOMRADIO.DE: "Es ist an der Zeit, Haltung zu zeigen", so lautet auch der Untertitel ihres neuen Buches. Was genau heißt es, eine Haltung zu haben und sie zu zeigen?
Käßmann: Gerade vom christlichen Glauben her - und darum wird es beim Kirchentag gehen - können wir sehen, dass Gott jeden Menschen zum eigenen Bilde geschaffen hat. Das heißt, jeder Mensch hat eine eigene Würde. Dabei ist völlig egal, woher er stammt, welche Herkunft er hat oder welches Geschlecht. Diese Haltung müssen wir in der Gesellschaft umsetzen, mutig sein und uns äußern.
Ich habe den Eindruck, das viele inzwischen Angst haben, etwas zu sagen, weil es dann zum Konflikt kommen könnte, wenn wir zum Beispiel sagen, dass wir hier in Deutschland in Vielfalt zusammen leben möchten. Hier sind Menschen, deren Großeltern oder Eltern einmal eingewandert sind, aber doch Teil unserer Gesellschaft sind. Ich möchte in einer vielfältigen Gesellschaft leben. Ganz anders, als es die Identitären tun.
DOMRADIO.DE: Immer wieder stehen die Kirchen in der Kritik, dass sie zu politisch seien. Damit sind Sie nicht einverstanden, oder?
Käßmann: Mir wurde oft vorgeworfen, meine Predigten seien zu politisch, aber der Glaube hat doch etwas mit der Welt und unserem Leben zu tun. Wenn ich über den Text "die Fremdlinge, die unter euch wohnen, die sollt ihr schützen" predige, kann ich nicht so tun, als hätte das nichts mit heute zu tun. Oder wenn Jesus sagt "Selig sind die, die Frieden stiften" geht es doch nicht nur um meinen inneren Frieden, sondern um den Frieden in der Welt. "Die Hungrigen, um die sollt ihr euch kümmern, die sollt ihr nähren" - das hat etwas mit der Ungerechtigkeit in dieser Welt zu tun. Ich kann nicht verstehen, wie eine Kirche unpolitisch sein könnte. Wenn Kirche zu Unrecht, Krieg und Zerstörung schweigt, dann ist sie auch in ihrem Schweigen politisch.
DOMRADIO.DE: Sie haben sich in Ihrem aktuellen Buch "Seid mutig und stark" mit der Geschichte und Bedeutung der vergangenen Kirchentage beschäftigt. Welchen Wert haben diese Kirchentage für Sie?
Käßmann: Mir ist wichtig, dass wir Kirchentage nicht nur als ein Ereignis sehen. Seit 1949 ist es auch eine klare Bewegung. Reinold von Thadden-Trieglaff, der den Kirchentag gegründet hat, war Mitglied der Bekennenden Kirche. Er wollte mit den Kirchentagen die Christinnen und Christen so im Glauben ausrüsten, dass sie Haltung haben können und nicht wieder, wie in der Zeit des Nationalsozialismus, in die Irre geführt werden.
Insofern waren Kirchentage immer auch politisch. Aber politisch immer von der Bibel her. Das ist mir wichtig. Ich habe auch ein Mal gesagt, dass der Kirchentag eine Sprachschule des Glaubens sei. Die Tage eines Kirchentages fangen immer mit einer Bibelarbeit an. Von der Bibelarbeit her gehen wir in die gesellschaftspolitischen Debatten.
DOMRADIO.DE: Was wünschen Sie sich für den Kirchentag 2025 in Hannover?
Käßmann: Zum einen wünsche ich mir für alle, die teilnehmen, eine Ermutigung. Wir haben es als Christinnen und Christen zur Zeit nicht leicht. Einerseits, weil wir immer deutlicher in eine Minderheitensituation geraten. Andererseits, weil wir durch die Missbrauchsskandale beider Kirchen einen großen Vertrauensverlust erfahren haben. Das müssen wir erst einmal aufarbeiten. Und zum anderen wünsche ich mir das Signal, dass wir nicht schweigen und uns nicht stumm in eine kirchliche Ecke verziehen, sondern mitten in der Welt davon reden, wovon wir überzeugt sind.
Das Interview führte Hilde Regeniter.