DOMRADIO.DE: Wie genau ist Ihr Kenntnisstand zu den rückeroberten Gebieten?
Priester Markian Bukatchuk (Direktor im St. Basilius Gymnasium in Ivano Frankivsk, Westukraine): Es war zu erwarten, dass die ukrainische Armee versuchen wird, die eroberten Gebiete zu befreien. Unerwartet war eigentlich die Ortschaft sowie das Ausmaß der Gegenoffensive. Diese Erfolge sind, glaube ich, dank der psychologischen Täuschung, der Konzentration von Mitteln und Kräften, aber auch der guten Taktik unseres Militärs gelungen.
DOMRADIO.DE: Wir sehen die Bilder im Fernsehen von blau-gelben Flaggen, die in befreiten Städten und Dörfern wehen. Was sagen die Menschen vor Ort?
Bukatchuk: Ich nehme das so wahr, dass die Menschen sehr inspiriert von den Erfolgen des ukrainischen Militärs sind. Wenn ich mir die zahlreiche Aufnahmen der befreiten Dörfer und Städte anschaue, sehe ich zum einen alles an Gräuel, was Krieg in sich hat und was dieser Krieg auch vollbracht hat. Andererseits sehe ich auch Menschen, die Schlimmes erlebt haben, aber die vor Freude weinen. Und wir befinden uns jetzt in einer neuen Phase des Krieges. Ich würde sagen, vielleicht in der dritten Phase des Krieges. Nach dem Scheitern der russischen Armee in Kiew, Sumy und Tschernihiw gab es eine sehr schwierige Lage für die ukrainische Armee im Donbass. Dort war Russland uns weit überlegen. Nun aber erleben wir einen großen Aufschwung durch gerade diese Erfolge der ukrainischen Armee. Die Gefühle sind zwiespältig. Ich würde sagen, wir bleiben bei aller Freude bescheiden in unseren Prognosen und bewahren kühlen Kopf, welchen Preis überhaupt diese erfolgreiche Gegenoffensive hat. Sie kostet auch bis jetzt menschliches Leben.
DOMRADIO.DE: Wie sah denn Ihr Alltag in den letzten Wochen aus?
Bukatchuk: Wir versuchen ein möglichst normales Leben zu führen, zumindest in den Gebieten, wo es keine Kämpfe gibt, wie zum Beispiel hier im Westen der Ukraine. Die Wirtschaft, Bildung, Medizin und Bräuche des sozialen Lebens sind aktiv. Wir versuchen, in einer solch schwierigen Zeit, dass das Leben das letzte Wort hat. Und das sieht man an verschiedenen Stellen. Die Restaurants sind geöffnet, die Schulen sind geöffnet. Unser Gymnasium, das sich in Trägerschaft unseres Erzbistums Kiews befindet, hat jetzt einen ganz normalen Präsenzunterricht. Die Menschen sind zwar müde vom Krieg, sie sind verarmt durch den Krieg, aber man muss aktiv bleiben. Denn wenn man passiv bleibt, dann hat man keine Kraft, um an den Sieg, an den Frieden zu denken und daran zu glauben.
DOMRADIO.DE: Papst Franziskus ist ja gerade auch in Kasachstan. Er ist unterwegs als "Pilger des Friedens". Zum siebten Mal findet dort ein Religionskongress statt. Der Moskauer Patriarch Kyrill nimmt nicht persönlich daran teil. Was erhoffen Sie sich denn von diesem Treffen in Kasachstan?
Bukatchuk: Ich würde sagen, das ist ein sehr großes Zeichen der Verbundenheit des Papstes mit der katholischen Kirche weltweit. Wir würden uns sehr freuen, wenn der Papst auch die Ukraine besuchen würde. Das wäre noch ein stärkeres Zeichen. Aber als Kirche sind wir so dankbar für die großzügige Unterstützung von zahlreichen Hilfswerken, mit denen wir kooperieren. Durch deren Solidarität, durch die Hilfe haben wir zahlreiche Projekte zugunsten von Binnenflüchtlingen und den vom Krieg betroffenen Menschen ins Leben gerufen.
Das Interview führte Elena Hong.