Unheilbar Kranke schreibt Buch über das Leben und Sterben

"Alles wird kostbarer"

Verena Welschof wird an Bauchspeicheldrüsenkrebs sterben. Darüber, wie der nahe Tod ihren Blick aufs Leben wandelt und welche Rolle Familie, Freunde und Glaube dabei spielen, hat sie mit ihrer Schulfreundin ein Buch geschrieben.

Autor/in:
Hilde Regeniter
Dieses Bild hat Verena Welschof für ihre Beerdigungsanzeige vorgesehen (Maler ist ein Bekannter, der nicht genannt werden möchte). (privat)
Dieses Bild hat Verena Welschof für ihre Beerdigungsanzeige vorgesehen (Maler ist ein Bekannter, der nicht genannt werden möchte). / ( privat )

DOMRADIO.DE: Vor knapp anderthalb Jahren haben Sie erfahren, dass Sie unheilbar krank sind und nicht mehr lange zu leben haben. Wie geht es Ihnen heute? 

Illusions-Spiegel-Foto mit Perücke (privat)
Illusions-Spiegel-Foto mit Perücke / ( privat )

Verena Welschof (Krebskranke und Ärztin): Ich befinde mich in einer Art Schwebezustand. Das Gute ist, dass ich keine Schmerzen habe, das ist das Entscheidende. Schwierig ist, dass so ein Schwebezustand für die Psyche eine große Belastung darstellt. Man kann sich auf nichts einstellen, das macht es schon sehr anstrengend. Außerdem bin ich natürlich körperlich durch inzwischen 38 Chemotherapien angeschlagen, was sich dann wiederum auf die Psyche auswirkt. 

Ich bin dünnhäutig geworden, und es ist jeden Tag ein Stück Arbeit, mich sozusagen in diese Situation zu ergeben. Es hilft ja nichts, dagegen zu kämpfen, sich zu wehren, zu schimpfen, man muss es annehmen. Dazu braucht man eine Haltung, an jedem einzelnen Tag von Neuem. 

DOMRADIO.DE: Direkt nach der Diagnose haben Sie eine ganze Reihe von Leuten per Mail kontaktiert – unter dem Betreff "Abschied". Warum war es Ihnen wichtig, dass diese Menschen wissen, was mit Ihnen los ist? 

Welschof: Erstens, finde ich, ist es eine Erleichterung, wenn man über die Dinge sprechen kann. Und zweitens können Menschen, wenn sie eine Information haben, wiederum anders mit mir umgehen. So lassen sich Fettnäpfchen vermeiden, es gibt ein besseres Miteinander und man kann anders nachfragen. 

Außerdem denke ich, dass die Verunsicherung dadurch abnimmt. Die Leute wissen besser, wie sie sich mir gegenüber verhalten können. Außerdem gebe ich ein kleines Stückchen von meiner schwierigen Lage ab und lasse die anderen mittragen. 

DOMRADIO.DE: Diese Mail jedenfalls war der Auftakt zu einem intensiven Austausch mit Gisela Steinhauer, mit der sie vor vielen Jahren zur Schule gegangen sind und über all die Jahre befreundet geblieben sind. Wie hat sich diese Freundschaft unter den geänderten Vorzeichen entwickelt? 

Welschof: Wir waren enge Schulfreundinnen, das war wirklich eine ganz feste Verbindung. Dann ist der Kontakt ein bisschen lockerer geworden, weil jede ihr eigenes Leben hatte, ich mit Kindern und sie ohne, mit anderen Berufen und so weiter. Wir haben uns aber nie aus den Augen verloren und uns auch relativ regelmäßig getroffen. 

Dann haben wir uns sozusagen durch diese Diagnose sehr intensiv wieder getroffen, seitdem ist ein ganz reger Austausch zwischen uns, eine ganz enge Verknüpfung. Manchmal sage ich, wir könnten eine Standleitung legen. 

Automatenfoto von Verena Welschof (l.) und Gisela Steinhauer in jungen Jahren (privat)
Automatenfoto von Verena Welschof (l.) und Gisela Steinhauer in jungen Jahren / ( privat )

DOMRADIO.DE: Gisela Steinhauer ist Journalistin und Autorin. Sie hat Ihnen vorgeschlagen, aus Ihrem Mailwechsel, also aus Ihrer doppelten Perspektive, ein Buch zu machen. Haben Sie sofort "Ja" gesagt? 

Welschof: Ich habe immer gerne geschrieben und sie hat mich da ein bisschen geschubst und gesagt "Schreib, schreib, schreib!" Da hatte ich aber ein Buch noch gar nicht im Sinn. Irgendwann hat sie in einer Mail vorgeschlagen, doch tatsächlich ein Buch daraus machen. Das hielt ich erst einmal für unrealistisch, habe mich aber darauf eingelassen.  Was eine gute Sache war, weil das Schreiben auch sortiert und dabei hilft, mit Distanz auf die eigene Situation zu gucken. Das hat mir geholfen. 

Verena Welschof

"Der Blickwinkel hat sich verändert, die Prioritäten verändern sich."

DOMRADIO.DE: Ist Ihr Buch ein Buch übers Sterben geworden oder übers Leben? 

Welschof: Ich würde sagen, über beides. Und genau diese Intention steht hinter dem Buch, nämlich das Leben und das Sterben miteinander zu verknüpfen. Wenn wir das Leben sozusagen aus der Endposition anschauen, gewinnt es eine ganz andere Wertigkeit. 

DOMRADIO.DE: Leben Sie denn intensiver, seid der Tod so nahe gerückt ist? 

Welschof: Ja, unbedingt. Ich habe jetzt eine ganz andere Sichtweise, eine ganz andere Perspektive: Alles wird kostbarer. Der Blickwinkel hat sich verändert, die Prioritäten verändern sich. Da tut sich viel. Vielleicht hilft ein Bild, das besser zu verstehen: Es ist ein bisschen so, wie wenn man weit weg wohnt, kein Geschäft in der Nähe hat und das Nutellaglas fast leer ist. Dann genießt man die letzten Reste im Glas ganz besonders. 

DOMRADIO.DE: Sterben ist eines der letzten großen Tabus unserer Gesellschaft. Aber Sie reden sehr offen über das nahende Ende, die eigene Beerdigung und das, was noch zu tun ist. Empfinden Sie das auch als befreiend? 

Welschof: Ja, auf jeden Fall. Denn es hilft ja nichts, man muss die Realität anerkennen. Und wenn ich darüber rede und offen damit umgehe und wenn ich die Dinge selbst in die Hand nehme, kann ich noch mitgestalten. Das Reden hilft also gegen die Ohnmacht und auch dabei, die Kontrolle zu behalten. Das fühlt sich auf jeden Fall besser an, als im Nichtstun zu bleiben. 

DOMRADIO.DE: "Geschichten über das, was zählt". So haben Sie Ihr Buch im Untertitel genannt. Was zählt denn? 

Welschof: Das ist einfach zu beantworten, das kristallisiert sich mit der Zeit eindeutig heraus:  Was zählt, sind die Begleitung durch Freunde und Familie und das Mitgefühl, das einem geschenkt wird, die größere Nähe zu vielen Menschen. Man würde ja denken, die laufen weg. Aber das kann ich nicht bestätigen. Ich bekomme viele Liebeszeichen, ich erlebe Herzensbegegnungen. Das ist wunderbar, das ist eine große Bereicherung. Dafür bin ich so dankbar; ich habe gelernt, das anzunehmen. 

Verena Welschof

"Ich bin auch dankbar für die moderne Medizin, ohne die ich schon nicht mehr leben würde."

DOMRADIO.DE: Dankbarkeit ist ein zentraler Begriff in Ihrem Buch. Dankbarkeit kommt Ihnen immer wieder in den Sinn in den Monaten des Krankseins und der oft quälenden Chemotherapien. Wofür sind Sie dankbar? 

Welschof: Einmal eben dafür, dass ich diese Menschen habe, die um mich herum sind, und eine tolle Familie. Aber ich bin auch dankbar für die moderne Medizin, ohne die ich schon nicht mehr leben würde. Letztes Jahr ging es mir sehr schlecht, da wären mir wohl nur noch ein paar Wochen geblieben. Dann aber haben die Chemotherapien angeschlagen und deshalb gibt es mich noch. Ich bin auch sehr dankbar für das Glück, das medizinische Personal als sehr freundlich und sehr empathisch zu erleben. Das ist extrem wichtig in so einer Situation. 

Verena Welschof

"Ich habe das Gefühl, Gott näher zu sein."

DOMRADIO.DE: Sie kommen aus einem sehr katholischen Elternhaus. Welche Rolle spielt Ihr Glaube in diesem wirklich existenziellen Moment? 

Welschof: Mein Glaube hat sich über die Jahre hinweg verändert. Ich komme, was den Glauben betrifft, tatsächlich aus so einem Schwarz-Weiß-Haushalt, nach dem Motto "Nur Katholiken kommen in den Himmel". Da musste ich an mir arbeiten und habe heute das Gefühl, viel weniger eingeengt zu sein in meinen Vorstellungen. Ich habe das Gefühl, Gott näher zu sein. 

Ich habe keine so klaren Vorstellungen mehr, alles ist ein bisschen unschärfer, aber damit empfinde ich es auch als göttlicher, denn Gott lässt sich nicht in ein Schema pressen und schon gar nicht in menschliche Gedanken. Jetzt bin ich auf dem Weg zu sagen: Ich vertraue einfach und es wird schon gut sein, so wie Gott unbegreiflich ist. 

DOMRADIO.DE: Hilft es, daran zu glauben, dass der Tod nicht das Ende ist? 

Welschof: Für mich schon. Ich hatte zwischendurch auch eine Phase, in der ich gezweifelt und gedacht habe, einfach nur weg sein wäre auch gut. Ich habe einige Operationen hinter mir mit Narkosen, wo ich diese Narkosen als sehr entlastend empfunden habe. Aber inzwischen denke ich: Nein, es macht alles keinen Sinn, wenn nicht ein Danach kommt. Und wie dieses Danach aussieht, das überlasse ich Gott. 

DOMRADIO.DE: Worauf hoffen Sie? 

Welschof: Ich hoffe, dass ich das hinkriege, diese Unbegreifbarkeit auch jetzt schon zuzulassen. Dass ich einfach nur vertrauen kann und mir nicht eine genaue Vorstellung machen muss. So wie ich es in Kindertagen gelernt habe. Dass ich einfach daran glaube, dass Gott mich so nimmt, wie ich bin. 

DOMRADIO.DE: Für wen haben Sie dieses Buch geschrieben? 

Welschof: Ich hoffe sehr, dass Menschen sich durch das Buch anregen lassen, mit dem Thema Tod zu beschäftigen, auch dadurch, dass das Buch leicht zu lesen ist und ja auch eine lustige Komponente hat. Weil ich das Leben wirklich als kostbarer empfinde, wenn wir den Tod nicht ausklammern.

Das Interview führte Hilde Regeniter .

Quelle:
DR