US-Journalist sieht Signalwirkung in Bode-Rücktritt

"Haben sowas noch nicht erlebt"

Der Bode-Rücktritt schlägt auch international Wellen. In den USA hat bis jetzt kein einziger Bischof seinen Rücktritt angeboten. Der Journalist Christopher White findet, dass Bodes Schritt auch in den USA den Druck erhöhen könnte.

Bischöfe (Symbolbild) / © Björn Steinz (KNA)
Bischöfe (Symbolbild) / © Björn Steinz ( KNA )
Christopher White / © NCR
Christopher White / © NCR

DOMRADIO.DE: Am vergangenen Samstag hat Papst Franziskus das Rücktrittsgesuch von Bischof Bode angenommen. Damit ist er der erste deutsche Bischof, der im Nachgang des Missbrauchsskandals sein Amt abgegeben hat. Hat das auch über Deutschland hinaus Wellen geschlagen?

Christopher White (Vatikankorrespondent "National Catholic Reporter", Analyst für NBC News und MSNBC): Bei uns in Amerika hat die kirchliche Szene ziemlich aufgehorcht. Einerseits weil Bode als einer der Hauptprotagonisten des Synodalen Weges bekannt ist, der weit über Deutschland hinaus Schlagzeilen macht. Andererseits auch, weil es um den Missbrauchsskandal geht. Diese beiden Themenbereiche werden bei uns aufmerksam verfolgt.

Viele Amerikaner fordern seit Jahren schon stärkere, auch persönliche Konsequenzen für Bischöfe, denen Fehlverhalten vorgeworfen wird. Man fragt sich, ob Bode damit eine Welle losgetreten hat und sich dieser Trend auch bei uns fortsetzen könnte.

DOMRADIO.DE: Bode ist ja nicht der erste Bischof, der seinen Rücktritt angeboten hat. Welchen Eindruck macht das deutsche Episkopat gerade nach außen?

White: Da sieht man einen sehr großen Unterschied zu Amerika. Wir hatten eine große Missbrauchsstudie im Bundesstaat Pennsylvania im Jahr 2019 und zur gleichen Zeit die Diskussion um den verurteilten Ex-Kardinal McCarrick aus Washington. Beides hat dazu geführt, dass auch die Bischöfe selbst mehr Konsequenzen und Verantwortung eingefordert haben.

Christopher White (US-Journalist)

"Bischöfe, die freiwillig ihr Amt zur Verfügung stellen (...) sind für uns völlig neu."

Richard Malone, Bischof von Buffalo / © Tyler Orsburn (KNA)
Richard Malone, Bischof von Buffalo / © Tyler Orsburn ( KNA )

Wenn es aber um ihre eigenen Ämter ging, kämpfen viele Bischöfe mit allen Kräften darum, an ihrer Macht festzuhalten. Ich denke da insbesondere an den Fall von Bischof Malone in Buffalo, New York. Fast ein halbes Jahr war er regelmäßig in den Schlagzeilen, weil ihm Fehlverhalten in einer ganzen Reihe von Missbrauchsfällen vorgeworfen wurde. Der hat verzweifelt um seinen Posten gekämpft.

So etwas, das Deutschland in den letzten Jahren versucht, kennen wir überhaupt nicht. Bischöfe, die freiwillig ihr Amt zur Verfügung stellen oder den Papst um Rückzug bitten, sind für uns völlig neu.

DOMRADIO.DE: Also gab es in Amerika noch keinen einzigen Bischof, der aus freien Stücken nach dem Missbrauchsskandal seinen Rücktritt angeboten hat? Und das obwohl das Thema Missbrauch dort schon viel länger in den Schlagzeilen ist als bei uns. Ein großes Thema ist das ja schon seit dem Jahr 2000.

White: Ja, das ist eine faire Analyse. Auf der strukturellen Ebene gibt es in Amerika schon großes Interesse an Verantwortung und den Regeln und Prozeduren, wie mit Missbrauch und Vertuschung umgegangen wird. Auf der persönlichen Ebene haben wir so etwas wie in Deutschland tatsächlich noch nicht erlebt.

DOMRADIO.DE: Was haben Sie gedacht, als Sie vom Bode-Rücktritt gehört haben?

White: Für mich war es vor allem interessant, dass der Papst seinen Rücktritt tatsächlich angenommen hat. Dass jemand, der so eine große Rolle beim Synodalen Weg spielt, zurücktreten darf, ist ein wirkliches Zeichen für Veränderung und Verantwortungsbewusstsein in der deutschen Kirche. Er übernimmt damit die Verantwortung für sein Handeln. In meiner Heimat haben wir dafür keinen Präzedenzfall.

Christopher White (US-Journalist)

"(Das) ist ein wirkliches Zeichen für Veränderung und Verantwortungsbewusstsein in der deutschen Kirche."

DOMRADIO.DE: Einige sehen in der Rücktrittsannahme auch eine politische Dimension. Papst Franziskus entfernt damit auch einen starken Reformer des Synodalen Weges, den er selbst kritisch sieht. Wie beurteilen Sie das als Vatikanbeobachter?

White: Schwer zu sagen. Wir sehen auf alle Fälle, dass der Papst beim Rücktrittsgesuch von Kardinal Woelki seit über einem Jahr keine Entscheidung getroffen hat. Ich weiß nicht, ob man das politisch deuten kann. Er belässt den Kritiker der Reform, entfernt den Fürsprecher aus dem Amt.

DOMRADIO.DE: Kardinal Marx hat er als Reformer aber auch nicht zurücktreten lassen.

White: Das ist wahr. Ich weiß nicht, ob es eine Rolle spielt, aber es sollte auf alle Fälle nicht auf die politische Dimension reduziert werden. Papst Franziskus hat vor kurzem gesagt, dass Rücktritte keine Selbstverständlichkeit sein dürfen und etwas Seltenes bleiben sollten.

Das hat er allerdings auf seine eigene Rolle als Papst und Bischof von Rom bezogen. Das kann man natürlich nicht gleichsetzen, aber ich denke ihm gefällt das Muster, der Trend nicht, dass Verantwortungsträger ihre Posten leichtfertig aufgeben. In der Beziehung ist er ziemlich traditionell. Ein Bischof ist Bischof und hat sein Amt auszuüben, solange seine Amtszeit währt.

DOMRADIO.DE: Was denken Sie über das, man kann es ja fast schon Phänomen nennen, dass in Deutschland gleich eine ganze Reihe von Bischöfen ihr Amt abgeben will und fast durch die Bank damit erfolglos bleiben? Auf der anderen Seite haben wir die Bischofskonferenz von Chile, die nach dem Missbrauchsskandal geschlossen ihren Rücktritt angeboten hat, obwohl dann nicht alle dieser Rücktritte angenommen wurden.

Papst Franziskus und Kardinal Marc Armand Ouellet am 17. Februar 2022 im Vatikan / © Paul Haring/CNS photo (KNA)
Papst Franziskus und Kardinal Marc Armand Ouellet am 17. Februar 2022 im Vatikan / © Paul Haring/CNS photo ( KNA )

White: Wenn eine ganze Bischofskonferenz ihren Rücktritt anbietet, ist das schon etwas ziemlich dramatisches, einschneidendes. Ein Teil davon ist natürlich auch der symbolische Akt, den das darstellt. Das Zeichen, dass man setzt.

Was allerdings mehr und mehr zum Problem wird, ist die praktische Frage, wer dann eigentlich noch die Bistümer leiten soll. Kardinal Marc Ouellet hat zwölf Jahre die Bischofskongregation geleitet und gesagt, dass 40 Prozent der angedachten Bischöfe die Ernennung ablehnen.

Es ist sehr schwierig, die komplette hierarchische Ordnung einer Kirche neu aufzubauen. Das gilt für Chile genauso wie für Deutschland.

DOMRADIO.DE: Was halten die Katholiken in Amerika eigentlich von der deutschen Kirche? Historisch sind wir  für die Theologie bekannt. Gerade erst in den letzten Jahren sind wir ja aber zu den Vorkämpfern für Reformen in der katholischen Welt geworden.

White: Für progressive Katholiken gilt die Kirche in Deutschland definitiv als Vorbild. Da kann man hinzeigen und sagen: So müsste es laufen. Das erfüllt auch viele Katholiken mit Stolz, dass es tatsächlich möglich ist, über den Tellerrand hinaus zu denken, besonders wenn es um die Rolle der Frau oder den Umgang mit Homosexualität geht. Dieser Geist erinnert viele an das Zweite Vatikanische Konzil, nachdem auch grundlegende Reformen erhofft wurden. Für viele ist das also eine durchaus aufregende Zeit.

Auf der anderen Seite sehen die konservativeren Kreise darin ein wirkliches Problem. Ein Stillstand des Glaubens, vielleicht sogar ein Schisma. Das macht auch vielen Angst, das darf man nicht verschweigen. Deshalb hatten auch ungefähr 50 Bischöfe vor einem Jahr einen Brief unterzeichnet, der den Synodalen Weg zur Vorsicht mahnt.

Ich glaube, für viele in der Mitte ist es schwer zu verstehen, auf welche dieser beiden Seiten die Deutschen wirklich einzuordnen sind. Je nach den eigenen politischen und theologischen Positionen findet man sich dann auf einer der zwei Seiten.

Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.

Die katholische Kirche in den USA

Die römisch-katholische Kirche ist die größte Glaubensgemeinschaft der USA, denn die Protestanten teilen sich in verschiedene Konfessionen. Ein knappes Viertel der US-Amerikaner ist katholisch, die meisten Katholiken leben im Nordosten und im Südwesten. Genaue Zahlen sind schwierig, weil in den USA der Wechsel einer Konfession sehr häufig vorkommt.

Die katholische Kirche in den USA / © rawf8 (shutterstock)
Die katholische Kirche in den USA / © rawf8 ( shutterstock )
Quelle:
DR