Lorie Smith und Jack Phillips leben nur wenige Kilometer voneinander entfernt in Colorado. Phillips gestaltet Hochzeitstorten, während Smith Webseiten für Paare entwirft, die sich das Ja-Wort geben. Beide verstehen sich als evangelikale Christen und lehnen gleichgeschlechtliche Ehen ab. Deshalb verweigern sie Schwulen und Lesben ihre Dienste.
Dem Bäcker sprach der Supreme Court 2018 das Recht zu, seine Leistung nicht anbieten zu müssen, weil die Richter darin seine "künstlerische Freiheit" eingeschränkt sahen. Im Fall der Webdesignerin haben sie noch nicht entschieden.
Bewertung der Tätigkeit
Alles hänge davon ab, wie Smith' Tätigkeit bewertet werde, stellte Richter Brett Kavanaugh während der Anhörung am Montag fest. "Handelt es sich um eine Leistung, wie sie in Restaurants, von Juwelieren oder Schneidern erbracht wird?", fragte der konservative Richter die Vertreterin der Klägerin - oder ist ihre Tätigkeit eher mit der von Verlagen vergleichbar. Anwältin Kristen Waggoner betonte, es gehe unmittelbar um das Recht auf Redefreiheit ihrer Klientin, das durch das Antidiskriminierungsgesetz von Colorado verletzt werde.
Dieses Gesetz war bereits Gegenstand von Philipps' Rechtsstreit mit dem Bundesstaat. Es verbietet ausdrücklich, dass Geschäfte ihre Waren oder Services bestimmten Gruppen vorenthalten dürfen. Im Fall des Tortenbäckers entschied der Supreme Court zu dessen Gunsten, ohne das Recht insgesamt infrage zu stellen.
Der Justiziar von Colorado, Eric Olson, fürchtet, dies könnte diesmal anders ausgehen - zumal der Supreme Court nun von sechs konservativen Richtern dominiert wird. Das geltende Gesetz sei "neutral" und verlange von Geschäftsbesitzern nichts anderes, als alle Kunden gleich zu behandeln, hielt Olson der Klägerin entgegen. Das Recht zu relativieren, würde die Schleusen für Unternehmen öffnen, "wegen Behinderung, sexueller Orientierung, Religion oder Rasse zu diskriminieren".
Schwierige Implikationen
Ketanji Brown Jackson, die erste afroamerikanische Richterin am Supreme Court, gab ähnliche Bedenken zu erkennen. Sie argumentierte mit dem hypothetischen Fall eines Weihnachtsmanns in einer Shopping-Mall, der sich aus konzeptionellen Gründen nur mit weißen Kindern ablichten lassen wolle: "Warum sollte er das nicht tun dürfen?" Richterin Sonia Sotomayor äußerte sich ähnlich: "Was ist mit Leuten, die nicht an gemischt-rassige Ehen glauben oder mit jenen, die es nicht für richtig halten, dass behinderte Menschen heiraten?"
Diese Argumentation schien außer bei den drei liberalen Richtern wenig Unterstützung zu finden. Samuel Alito bemühte ebenfalls den Weihnachtsmann, um die Frage in den Raum zu stellen, ob ein schwarzer Santa nicht das Recht haben sollte, Fotos mit Kindern in einem "Ku-Klux-Klan"-Kostüm zu verweigern.
So theoretisch die Argumente daherkamen, so wenig substanziell ist die Grundlage der Klage der Evangelikalen: Anderes als Tortenbäcker Phillips hat Webdesignerin Smith bis heute keine konkrete Anfrage erhalten, eine Webseite für gleichgeschlechtliche Paare zu gestalten.
"Welt des Hypothetischen"
Sie habe kein Problem damit, für LGBTQ-Personen zu arbeiten, erklärte Smith vor der Anhörung. Die einzige Ausnahme sei, wenn es um die Gestaltung einer Hochzeits-Webseite gehe. Das wolle sie potenzielle Kunden wissen lassen, wenn diese sich über ihre Dienstleistungen informierten. Die englische Abkürzung LGBTQ steht für Menschen, die sich etwa als lesbisch, schwul oder queer identifizieren.
Der Justizminister von Colorado, Phil Weiser, sprach von einem "frei erfundenen Fall". Es seien weder Webseiten geschaffen worden noch hätten Personen danach gefragt. "Wir befinden uns in einer Welt des Hypothetischen."
Umso gravierender könnten die Konsequenzen eines Urteils zugunsten von Smith nach Ansicht von Experten sein. Das sagt etwa David Cole von der Bürgerrechtsorganisation ACLU. "Wir leben dann in einer Welt, in der jedes Geschäft mit einer gestalterischen Dienstleistung ein Schild aufhängen kann: 'Frauen werden nicht bedient, Juden werden nicht bedient, Schwarze werden nicht bedient'."
Smith besteht darauf, dass ihre Ablehnung von Hochzeitsdienstleistungen für gleichgeschlechtliche Paare eine andere Qualität habe. Die Mehrheit der Richter scheint darum bemüht zu sein, die für den Sommer erwartete Entscheidung eng zu fassen - wie einst im Fall des Tortenbäckers. Dieser steht übrigens ein weiteres Mal vor Gericht. Diesmal, weil er sich geweigert hatte, einer Transperson einen Kuchen zu backen.