DOMRADIO.DE: Das ganz genaue Datum weiß man zwar nicht – das hat damals niemand schriftlich festgehalten – aber der 9. November hat sich als Weihetag und als liturgisches Fest etabliert. Die Lateranbasilika ist Teil des Lateranpalastes, den Kaiser Konstantin der Große im vierten Jahrhundert der Kirche geschenkt hatte. Auf dem Ostgiebel steht tatsächlich "Mutter und Haupt aller Kirchen des Erdkreises". Wie kam die Basilika zu dieser Ehre?
Ulrich Nersinger (Vatikanexperte und Buchautor): Ich denke, das hat sogar verschiedene Gründe. Man muss wissen, diese Basilika ist vom Kaiser auf kaiserlichem Areal gebaut worden – und zwar mehrfach kaiserlichem Areal. Es ist ein Gebiet, das früher einer Familie der Laterani gehörte, daher auch der Name. Und diese Familie wurde dann unter Nero enteignet und dann wurde es kaiserlicher Besitz.
Dort war auch ein Palast und eine Wohnung der Frau des Konstantin, die übrigens eine Schwester von Maxentius war, also des Feldherren, den Kaiser Konstantin an der milvischen Brücke besiegt hat. Und dann haben wir noch in der Nähe einen weiteren kaiserlichen Palast, der der Mutter Konstantins gehörte, der Kaiserin Helena. Also, wir haben hier eine sehr enge kaiserliche Umgebung, in der der Kaiser dann für seinen Sieg über Maxentius diese Kirche bauen ließ.
Und man muss bedenken, sie war von den großen Kirchen, die entstanden, damals die einzige, die innerhalb der Stadtmauern lag. Sankt Peter stand damals außerhalb der Stadtmauern.
DOMRADIO.DE: Es gab Reibereien zwischen dem Vatikan und dem Lateran. Worum ging es dabei?
Nersinger: Es ging in der damaligen Zeit vor allen Dingen auch um die Reliquien. Reliquien waren für die Menschen dieser Zeit sehr wichtig. Sie waren Berührungspunkte mit dem Glauben, also körperliche Berührungspunkte, und sehr wichtig.
Und da versuchte man natürlich aufzutrumpfen. Also, der Lateran sagte: Ja, wir haben diese gewaltigen Reliquien, wir haben sogar Reliquien aus dem Alten Testament, den Stab des Mose, Teile der Steintafeln – also auch ein bisschen skurril.
Sankt Peter war auch sehr darauf fixiert, seine Reliquien wie die "Lanze des Longinus" oder das "Schweißtuch der Veronika" zu präsentieren. Und dann kam es zu so skurrilen Erlebnissen, dass man zum Beispiel im Lateran sagte: "Wir haben die Häupter der beiden Apostelfürsten Petrus und Paulus". Und Sankt Peter sagte: "Ja, aber hier ist das Grab des heiligen Petrus".
DOMRADIO.DE: Eine ganz besondere Geschichte trug sich auch in der Lateranbasilika im Jahr 897 zu. Da fand eine sogenannte Leichen-Synode statt. Was war denn da los?
Nersinger: Das war eine sehr unerquickliche Sache. Papst Stephan VI. hatte seinen Vorgänger Formosus zur Leichen-Synode gebracht. Das klingt also schon mal sehr makaber. Formosus wurden verschiedene Vergehen vorgeworfen, also Amtsmissbrauch. Dann ging es aber auch um die Kaiserwahl, wo man verschiedener Meinung war.
Und dann hat Papst Stephan VI. – natürlich auch um seine Position zu stärken – Papst Formosus aus seinem Grab genommen, der schon am Verwesen war. Man hat ihn dann auf einen Thron gesetzt, ihn mit den päpstlichen Gewändern bekleidet und über ihm Gericht halten lassen. Also sehr makaber und doch sehr unappetitlich, die ganze Sache.
Dann hat man ihn der Kleider wieder beraubt, verurteilt und wieder beigesetzt. Das reichte aber Papst Stephan nicht. Man hat dann den Leichnam dem Grab entnommen und ihn in den Tiber geworfen und später wieder aufgefangen. Also eine sehr eigene Geschichte, die kein gutes Licht auf die damalige Kirche wirft.
DOMRADIO.DE: Im 14. Jahrhundert zogen dann die Päpste in den Vatikan. Was bedeutete das denn für die Lateranbasilika?
Nersinger: Der Lateran war doch in vielfacher Hinsicht gebeutelt worden. Es gab eine ganze Reihe von Erdbeben, und diese haben die Struktur der Kirche sehr in Anspruch genommen.
Und durch die lange Zeit, die die Päpste in Avignon waren, war die Lateranbasilika etwas verfallen. Dann haben die Päpste gesagt, da können wir nicht mehr Sitz nehmen, wir ziehen nach Sankt Peter. So wurde Sankt Peter der Hauptsitz der Päpste.
DOMRADIO.DE: Jetzt müssen wir noch in die Gegenwart schauen. Welche Rolle spielt denn die "Mutter aller Kirchen" heute für die Päpste?
Nersinger: Der Lateran ist immer bedeutender geworden. Nach ihrer Krönung in oder vor Sankt Peter zogen die Päpste am gleichen Tag oder einige Tage später zum Lateran um und hatten den sogenannten "Possess der Lateranbasilika". Sie nahmen also feierlich Besitz vom Lateran an und zeigten so, dass ihre eigentliche Bischofskirche immer noch der Lateran ist. Das war ein ganz feierlicher Akt, der von jedem Papst vollzogen wurde.
Und in der heutigen Zeit ist es auch so, dass der Lateran wieder stärker in den Fokus geraten ist. Schon Papst Johannes XXIII. und Paul VI. haben den Palast renovieren lassen. Johannes XXIII. soll sogar die Absicht gehabt haben, dort eine Wohnung zu beziehen für bestimmte Besuche, so dass er dort länger bleiben konnte.
Und Papst Franziskus geht noch einen Schritt weiter: Es gibt viele hochwichtige Dokumente, die er unterschreibt mit "gegeben beim Lateran", nicht "gegeben zu Sankt Peter", sondern "gegeben beim Lateran". Das zeigt, dass auch der jetzige Papst der Lateranbasilika wieder eine größere Bedeutung zusprechen möchte.
Das Interview führte Tim Helssen.