DOMRADIO.DE: Wie erstaunlich ist es, dass Papst Franziskus bei der Wiedereröffnung von Notre-Dame fehlt, eine Woche später aber nach Korsika reist?
Ulrich Nersinger (Vatikanexperte und Buchautor): Man ist ein wenig in Erklärungsnot. Wir müssen uns auf das Feld der Spekulationen begeben, weil wir das sonst nicht so erklären können. Zunächst einmal muss man wissen, dass Napoleon vor mehr als 200 Jahren den Papst zu seiner Krönung nach Paris eingeladen hat. Der Papst sollte auch die Krönung vornehmen. Dann hat sich Napoleon aber selbst die Krone aufs Haupt gesetzt.
Als ich gestern die Inszenierung Macrons sah, habe ich mir gedacht, sie erinnerte mich so ein bisschen daran. Vielleicht hat sich der Papst auch gedacht, dass er sich nicht zur Staffage machen lassen möchte und dass er nicht in eine Rolle gedrängt werden möchte, die er eigentlich selbst nicht will. Das wäre eine Erklärung. Eine andere Erklärung ist natürlich auch, dass es sich aus historischen Gegebenheiten ergibt. Auch das ist aber reine Spekulation.
DOMRADIO.DE: Am nächsten Sonntag reist Papst Franziskus nach Korsika. Was verbindet denn historisch gesehen die Korsen mit dem Vatikan?
Nersinger: Da müssen wir ins 17. Jahrhundert blicken. Im 17. Jahrhundert gab es in Rom keine richtige Polizei. Es gab kleine Einheiten, die den einzelnen Institutionen der Ewigen Stadt zugeordnet waren, aber eine richtige Ordnungsmacht gab es in der Stadt nicht.
Papst Clemens VIII. kam dann auf die Idee, aus den Korsen, die für gutes und hartes Durchgreifen bei solchen Sachen bekannt waren, eine eigene kleine Polizeikraft zu entwickeln. Diese Ordnungsmacht, die sogenannte Korsengarde, hat er dann eingerichtet. Sehr schnell kamen aber gewisse Probleme auf sie zu.
DOMRADIO.DE: Was waren das für Probleme damals?
Nersinger: Wir kennen es heute noch, dass die Botschaften der einzelnen Staaten auch bei uns über das Recht der Exterritorialität verfügen, dass man also nicht auf ihr Botschaftsgelände konnte.
Das war in der damaligen Zeit auch so, nur haben diese Mächte das in Rom in einem ungeheuren Maße ausgedehnt, sodass sie manchmal fast ganze Stadtviertel als ihr Terrain und als zu ihrer Exterritorialität zugehörend sahen. Quartierfreiheit nannte man das. Das haben auch die Franzosen ausgenutzt.
Es kam hinzu, dass der damalige Herrscher Ludwig XIV. kein großer Freund des Papstes (Alexander VII., d. Red.) war. Und auch der für den Heiligen Stuhl ernannte Botschafter Frankreichs war ein Provokateur, der jede Gelegenheit nutzte, den Heiligen Stuhl zu reizen. Dann kam es zu einem Zwischenfall mit der Korsengarde. Und dieser Zwischenfall hat sich dann doch fast zu einem kriegerischen Konflikt emporgeschwungen.
DOMRADIO.DE: 60 Jahre lang schützten die korsischen Söldner den Vatikan. Dann war es aber vorbei. Ist das aus diesem Grund geschehen, den Sie gerade angekündigt haben?
Nersinger: Ja, es gab Tote und es gab Aktionen der Franzosen dagegen. Das ging so weit, dass Frankreich die päpstlichen Besitzungen in Avignon besetzen ließ und drohte, in den Kirchenstaat einzumarschieren, weil es zu einem Konflikt der Botschaft Frankreichs mit der Korsengarde kam, wobei die Korsengarde wirklich provoziert worden ist. Die Korsengarde galt aber natürlich auch als sehr "wilder Verein", um es mal salopp zu sagen.
DOMRADIO.DE: Wie ist das Verhältnis zwischen Korsen und Vatikan heute?
Nersinger: Ich denke, ganz gut. Das zeigt sich zum Beispiel, dass es gute Beziehungen gibt. In Rom gibt es eine Vereinigung der Korsen, die sich auch dieser historischen Dimension widmet. Und in den römischen Kirchen finden wir auch korsische Soldaten – also solche der Korsengarde – beigesetzt.
Das Verhältnis ist eigentlich sehr gut. Ich weiß nicht, ob der Papst sich dieser historischen Dimension so richtig bewusst ist, aber vielleicht ist das ein Grund, dass er auch mal Korsika besucht. Wobei ich das auf keinen Fall behaupten will, weil das wirklich reine Spekulation ist.
Es ist trotzdem kaum zu verstehen, warum der Papst etwa nicht in Paris war. Wenn man bedenkt, dass der französische Präsident Macron ja auch ein Jesuitenschüler war und Ehrendomherr des Laterans ist. Die Chemie zwischen Macron und dem Papst scheint aber zumindest von päpstlicher Seite her nicht sehr gut zu sein.
Das Interview führte Carsten Döpp.