DOMRADIO.DE: Erstaunlicherweise geht diese Farbgebung zurück auf einen militärischen Kopfschmuck, eine Art Rüsche, Kokarde genannt. Was hat es damit auf sich?
Ulrich Nersinger (Vatikanexperte): In Italien und damit auch in den damaligen päpstlichen Staaten kamen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts die Kokarden auf, die wir auch aus der Französischen Revolution kennen. Kokarden sind Abzeichen aus Stoff, manchmal auch aus Papier, die meistens an den militärischen Kopfbedeckungen getragen wurden. Die Farben nahm man oft aus dem Wappen oder der Wappenfahne des Landes. Rom, aber auch die Päpste hatten oft goldene Darstellungen auf rotem Grund in ihren Wappenfahnen. Daher entstand im Herrschaftsgebiet des Papstes so eine Kokarde in den Farben Gelb und Rot.
Es gibt eine sehr interessante Geschichte, wie sie dann auf Gelb und Weiß kommen. 1808 drangen die Truppen Napoleons auch in den Kirchenstaat ein und hatten eine Taktik. Sie wollten ihre Okkupation der ewigen Stadt mit eine Trick bemanteln. Ihre Soldaten nahmen die Farben des Papstes an, als eine Art Verbrüderung. Der Papst empfand das als einen Verstoß und eine Beleidigung. Er befahl für die noch verbliebenen Palastgarden stattdessen Gelb und Weiß zu nehmen. Das hat einen einfachen Grund.
Wir kennen als Symbol des Papsttums nicht nur die Papstkrone, sondern auch die gekreuzten Schlüssel, die immer in Gold und Silber dargestellt waren. Heraldisch wurde aus Gold und Silber dann Gelb und Weiß. Das ist der Gründungsakt der heutigen Papstfahne.
DOMRADIO.DE: Und dann gab es ja farblich im Vatikan ordentlich Verwirrung. Das Gelb-Weiß konnte sich zuerst nicht so richtig durchsetzen, oder?
Nersinger: Nein, komischerweise oder interessanterweise zunächst nur bei der päpstlichen Marine, also den Booten des Kirchenstaates, die auf den Meeren fuhren. Sie bekamen 1825 den Befehl, Gelb-Weiß zu nehmen, dadurch haben sich die Farben durchgesetzt, aber nur zögerlich für die einzelnen Regimenter des alten Kirchenstaates. Zur offizielle Farbe des Kirchenstaates und später des Vatikanstaats wurde es erst 1929, als der Vatikanstaat gegründet wurde.
DOMRADIO.DE: Das war während des Ersten Weltkrieges. Dieses schlimme Ereignis hat aber den Farben Weiß und Gelb ordentlich Rückenwind gegeben.
Nersinger: Im Ersten Weltkrieg hatten wir das Problem, dass der Papst drei Apostolische Nuntien, also drei Botschafter, auch teilweise in Übersee entsenden musste. Und durch den U-Boot-Krieg war das eine riesen Gefahr. Daraufhin hat man sich an das damalige Deutsche Reich und an die ganzen Kriegsparteien gewandt und gefragt, wie sie ihre Leute sicher ins Ausland bringen können.
Die Antwort war, sie sollten die Schiffe unter den päpstlichen Farben setzen; dann würde man versuchen, diese Schiffe nicht anzutasten und nicht anzugreifen. Das ist mit der Grund, warum man später, als der Vatikanstaat entstand, Gelb und Weiß zu den offizielle Farben des Papstes und des Vatikanstaats machte.
DOMRADIO.DE: Werden diese Farben der Flagge heute noch in Frage gestellt?
Nersinger: Nein, heute sind die Farben weit verbreitet. Zum Beispiel bei Apostolischen Reisen des Papstes oder wenn zum Segen "Urbi et orbi" die Schweizergarde aufzieht, führt sie die gelb-weiße Fahne. Dieses Gelb und Weiß finden wir überall im Vatikan, auf den Ordensbezeichnungen, auf Ritterorden und Verdienstmedaillen. Heute weiß jeder, dass Gelb und Weiß die Farben des Papstes und des Vatikanstaats sind.
Das Interview führte Tim Helssen.