DOMRADIO.DE: Wie sieht dieses Stück Mauer denn aus? Wo steht es?
Ulrich Nersinger (Vatikanexperte und Buchautor): Es ist eine Besonderheit. Als die Mauer gebaut wurde, hat auch die Mauer die Sankt-Michaelis-Kirche, die im Osten der Stadt lag, teilweise verdeckt. Man sah nur noch den oberen Teil, die Turmspitze. Dann kam man auf die Idee, die Mauer vom Westen her doch mit dem Rest der Kirche zu malen, sodass der Eindruck entstand, als hätte man einen freien Blick zur Sankt-Michaelis-Kirche.
Nach dem Mauerfall kam dieses Mauerstück auf eine Auktion nach Monaco. Ein italienischer Geschäftsmann, Marco Piccininni, hat dieses Mauerfragment erworben und es dem Vatikan zum Geschenk gemacht. Das war eine außergewöhnliche Sache damals.
DOMRADIO.DE: Wie viel hat der Geschäftsmann dafür auf den Tisch geblättert?
Nersinger: Das ist mir leider nicht bekannt, aber es wird eine ganz beträchtliche Summe gewesen sein.
DOMRADIO.DE: Was kann man jetzt auf diesem Mauerstück lesen?
Nersinger: Wir sehen diesen Teil der Sankt-Michaelis-Kirche und einige Graffiti. Dieses Mauerstück hat zwar heute eine Tradition in den Vatikanischen Gärten, aber es war am Anfang von gewissen Seiten gar nicht so gern gesehen.
Das päpstliche Staatssekretariat und einige andere haben gesagt, das solle man lieber nicht machen. Aber der Papst selber, Johannes Paul II., hat ausdrücklich darauf gedrungen, dass man dieses Mauerstück in den Vatikanischen Gärten aufstellt.
Man findet heute bei der Mauer einen Spruch: "Habt keine Angst! Öffnet, ja reißt die Tore weit auf für Christus! Öffnet die Grenzen der Staaten, die wirtschaftlichen und politischen Systeme! Habt keine Angst!" Das ist ein Teil einer Ansprache von Johannes Paul II. zur Öffnung des Ostens zum Westen.
DOMRADIO.DE: 1990 ist das Mauerstück in den Vatikan gekommen. 1994 wurde es eingeweiht. Warum hatte man damals solche Vorbehalte?
Nersinger: Das waren vielleicht kirchenpolitische Gründe. Und das war natürlich auch für manche Leute im Vatikan etwas ungewohnt. Vielleicht hatte man auch ästhetische Bedenken, weil es etwas ist, was sich nicht so ganz in die Harmonie der Vatikanischen Gärten einzufügen vermag.
DOMRADIO.DE: Wie war denn damals das Verhältnis des Vatikans und der DDR?
Nersinger: Vor dem Mauerfall haben wir eine ganz interessante Situation, denn es gab Verhandlungen zwischen dem päpstlichen Staatssekretariat, im Sinne der damaligen Ostpolitik, die dann interessanterweise von Johannes Paul II. mitgetragen wurde.
Kurz vor dem Mauerfall gab es Gerüchte und Anzeichen, dass die DDR vom Vatikan hätte anerkannt werden können. Das war ein großes Bestreben der DDR, eine Anerkennung ihres Staates durch den Vatikan zu erreichen. Man hat sich da auch bestimmter Methoden im Vatikan bedient.
DOMRADIO.DE: Welche waren das?
Nersinger: Man hat den Vatikan ausspioniert und es gab eine ganze Reihe von Agenten der Stasi und des KGB, die auch im Vatikan ihr Unwesen trieben. Interessanterweise zum Beispiel in der Redaktion des Osservatore Romano. Dort gibt es ja auch immer Leute, die die Dokumente und Reden des Papstes übersetzten. Dazu gehörten auch zwei Leute, die später enttarnt wurden. Der eine war ein Mönch der Benediktinerabtei von Trier und der andere ein Mitarbeiter der Katholischen Nachrichten-Agentur.
DOMRADIO.DE: Papst Johannes Paul II. war von 1978 an ein Papst im Amt, der aus dem sogenannten Ostblock kam. Wie hat sich das auf seine Beziehung zur DDR ausgewirkt?
Nersinger: Er war ein bisschen der Schrecken des KGB und der Stasi. Man hat große Befürchtungen gehabt. Es gibt die Vermutungen, dass das auch mit den Attentatsversuche gegen ihn zu tun haben könnte.
Man hat davon gesprochen, dass es einen Topspion gab, der unter dem Decknamen "Werder", den Vatikan ausspioniert hat. Den haben wir aber bis zum heutigen Tag nicht so richtig enttarnt. Und wir wissen auch gar nicht, ob es ihn überhaupt gegeben hat. Es gab also ein ziemlich großes Getue um dieses Verhältnis.
DOMRADIO.DE: Welche Rolle spielt die Teilung Deutschlands und die unterschiedlich ausgeprägte Verbreitung des Christentums heute für Papst Franziskus?
Nersinger: Papst Franziskus sieht natürlich, dass sich das auf den Glauben ausgewirkt hat. Aber er sieht auch - das hat er ja vor kurzem noch einmal betont -, dass das alles ein Zeichen für die Befreiung des Menschen war.
Und es ist vielleicht auch interessant, dass im Jahre 2017 dieses Mauerfragment noch einmal mit sehr viel Aufwand restauriert wurde. Das ist im Pontifikat von Papst Franziskus gewesen.
DOMRADIO.DE: Letzte Woche hatte Papst Franziskus das Wunder der deutschen Einheit noch mal gelobt. Was meint er damit?
Nersinger: Dass das alles sehr friedvoll geschehen war. Ich denke, der Papst bekommt aktuell viele Eindrücke von Kriegen, wo es teilweise um eine ähnliche Problematik geht. Nun steht er natürlich bewundernd vor diesem doch sehr unblutigen Ereignis der deutschen Wiedervereinigung.
Das Interview führte Carsten Döpp.