DOMRADIO.DE: Würden Sie das auch so sehen, dass Fußball für manche Menschen eine Ersatzreligion ist?
Thorsten Kapperer (Pastoralreferent, Beauftragter für Kirche und Sport im Bistum Würzburg, geistlicher Beirat des christlichen Sportverbandes DJK): Vielleicht eher ein Ersatz für Religion, wenn ich jetzt ganz streng theologisch bin, würde ich sagen Religion ist Religion und Fußball ist Fußball. Da gibt es schon Unterschiede. Möchte ich übrigens als Fußballfan, der ich bin, auch nicht, dass man mir überstülpt, dass Fußball eine Religion ist.
Fußball hat viel mit Leidenschaft und Emotionen zu tun, keine Frage. Aber wenn es um die entscheidenden Fragen geht wie: Woher kommen wir, wohin gehen wir? Was ist der Sinn des Lebens? - kann und will der Fußball keine Antwort geben. Der DFB hat bei seiner Gründung schon eine weltanschauliche Neutralität sich auf die Fahnen geschrieben. Von daher würde ich das streng theologisch trennen wollen. Allerdings haben Sie nicht Unrecht. Wenn ich die absolute Leidenschaft und Hingabe selber als Fußballfan im Stadion erlebe, würde ich schon sagen, Fußball kann durchaus für viele ein Ersatz für Religion sein.
DOMRADIO.DE: Es gibt schon Parallelen, wenn Fans ihrer Mannschaft zu Spielen "hinterher pilgern", Trikots von Spielern so begehrt sind wie Reliquien im Mittelalter oder in Stadien Hymnen so gesungen werden wie "Großer Gott wir loben dich" in der Kirche, oder?
Kapperer: Ja, absolut. Ich denke, letzten Endes führen sie nicht ganz an den Kern der Sache heran, weil das so phänomenologisch ist oder Äußerlichkeiten sind, die auffallen, wenn man das beobachtet. Wenn man dahinter schaut, gibt es schon Unterschiede im Kern. Aber Sie haben recht in Bezug auf die Leidenschaft und die Emotionen ist es vergleichbar. Dinge wie das Gemeinschaftserlebnis, die absolute Ausrichtung auf den eigenen Verein oder die Emotionen, mit denen man bei einem Spiel dabei ist, können im Alltag zu so einem Ersatz für Religion werden. Das sind schon alles auch Faktoren, die bei Religionen auch eine große Rolle spielen.
DOMRADIO.DE: Viele Fans sprechen davon, dass im Stadion irgendetwas Besonderes ist, was man gar nicht so greifen kann. Sie kennen das wahrscheinlich auch als Fan.
Kapperer: Richtig, ich bin VfB-Fan und am letzten Spieltag haben wir mit dem Tor in der Nachspielzeit den Klassenerhalt geschafft. Da waren Emotionen sichtbar. Mir sind selbst die Tränen in die Augen geschossen. Ich habe nach rechts und links geschaut und enthusiastische Menschen gesehen. Das ist etwas, das kann der Fußball immer wieder auf eine wunderbare Art und Weise erzeugen.
DOMRADIO.DE: Fußball, Kirche, Glaube - Sie halten Vorträge und Seminare zu diesem Thema. Was kann die Kirche vom Fußball lernen?
Kapperer: Es sind drei Hauptpunkte oder Beispiele, die ich erwähnen möchte. Das eine ist die Ästhetik. Wir leben in einer Zeit der Bilder und der Fußball produziert immer wieder viele Bilder, wenn man im Stadion dieses Fahnenmeer oder die Choreographien sieht. Da müssen wir als Kirche noch ein bisschen nachlegen, was das betrifft, weil die Ästhetik einfach wichtig ist.
Dann die Sprache: Ich erlebe es selber, wir tun uns manchmal immer noch schwer in der Kirche mit unseren vielen Worten, die hoch aufgeladen sind. Theologisch natürlich sehr bedeutsam. Aber der Fußball hat eine Sprache, die sehr einfach, direkt ist und die jeder gleich versteht. Man kann viele Dinge gut auf den Punkt bringen.
Und drittens die Leidenschaft: Ich sage nicht, dass wir in der Kirche unleidenschaftlich sind, aber wenn ich mir das anschaue und vergleiche, dann erlebe ich mehr Leidenschaft und Emotionen beim Fußball. Zumindest so, dass wir uns da noch was abschauen können.
Das Interview führte Michelle Olion.