Wie aus alten Bettbezügen Mode entsteht

Diese Designer-Kleidung gefällt auch Oma

Rund 20 Kilo neue Kleidung landen jährlich in jedem deutschen Kleiderschrank. Das meiste davon wird wenig getragen und irgendwann entsorgt. Das Berliner Label "Moot" will Upcycling massentauglich machen.

Autor/in:
Nina Schmedding
Symbolbild Kleidung auf einer Kleiderstange / © Olga Pink (shutterstock)
Symbolbild Kleidung auf einer Kleiderstange / © Olga Pink ( shutterstock )

Seine Oma findet die Idee, aus alten Bettbezügen T-Shirts zu nähen, großartig. "Das ist ja auch nichts Neues. Manchmal kommen ältere Leute, die kaufen deshalb etwas bei uns, weil sie das an ihre Kindheit erinnert. 'Das hat meine Mutter auch gemacht', sagen sie dann", erzählt Nils Neubauer, 29 Jahre alt, und Mit-Gründer des Berliner Mode-Labels "Moot".

Die Abkürzung steht für "Made Out Of Trash" – Mode aus Müll. Das Unternehmen produziert aus alter Bettwäsche pastellfarbene T-Shirts, aus alten Wolldecken buntkarierte Jacken, aus alten Kissenbezügen stylische Umhängetaschen – alles Unikate.

Nils Neubauer, Gründer des Labels Moot – Mode aus Müll / © Nina Schmedding (KNA)
Nils Neubauer, Gründer des Labels Moot – Mode aus Müll / © Nina Schmedding ( KNA )

Im Krieg oder in der Nachkriegszeit, als man kein Geld für neue Kleidung hatte, war es ganz üblich, aus vorhandenen Dingen neue zu kreieren. Genau das ist das Prinzip des Unternehmens, das im Frühjahr 2020 gegründet wurde und seinen Sitz im Berliner Ostbahnhof hat.

Der Store ist gleichzeitig Laden und "Showroom mit Aufklärungselement", wie Neubauer sagt: An den hellen Wänden wird in schwarzer Schrift das Prinzip von "Fast fashion" erklärt – und das der nachhaltigen Mode, wie sie hier angeboten werde. Die Einrichtung passt zum Konzept: Aus alten Rohren wurden hier Kleiderstangen, aus Textilballen Sitzgelegenheiten.

Upcycling stand nicht auf dem Lehrplan

Einen Faible für umweltbewusste Produktion hatte Neubauer bereits in seinem Modedesign-Studium. "Damals hatte ich einen Film gesehen über Baumwollanbau in Bangladesch und die unfairen Arbeitsbedingungen, unter denen dort Stoff hergestellt und für Europa Kleidung genäht wird", erzählt er. "Da wusste ich: Ich will nicht Teil von dieser Mode-Industrie sein." Er suchte also nach anderen Möglichkeiten. Aus alten, entsorgten Teilen sollte neue Mode entstehen. Kein einfacher Weg, sagt er. "Meine Dozentin war zunächst gar nicht einverstanden damit, weil Upcycling nicht auf dem Lehrplan stand."

In die Mitte der Gesellschaft holen

Die Idee mit dem Label entstand dann gegen Ende des Studiums, auch ein wenig aus der Not heraus: Neubauer brauchte einen Job. Bei einem Besuch bei seinem Freund Michael Pfeifer, der gerade in Lissabon Betriebswirtschaft studierte, entstand eher nebenbei der Gedanke, Mode aus geretteten Textilien massentauglich zu machen. "In der Haute-Couture hat es das natürlich vorher schon gegeben. Wir wollten das aber in die Mitte der Gesellschaft holen", sagt Neubauer.

Symbolbild Second Hand Kleidung / © Svittlana (shutterstock)
Symbolbild Second Hand Kleidung / © Svittlana ( shutterstock )

Er ging in die Berliner Stadtmission, die Altkleider sammelt, um sie an Obdachlose abzugeben. Da kam ihm der Gedanke mit der altenBettwäsche: "Die können Obdachlose nicht gebrauchen. Die brauchen Schlafsäcke." Zudem sei das Material robust und auch bei 60 Grad waschbar. Es entstand das erste Produkt – ein T-Shirt, eigenhändig genäht aus Bettwäsche, das bis heute im Büro der Gründer hängt.

Blass-dezent

Geometrische Formen oder Rosen: Die Farben der Stücke sind eher blass-dezent, die Muster lassen oft das Jahrzehnt vermuten, in dem die Bettwäsche entstand und noch in ihr geschlafen wurde. "Einmal habe ich sogar einen Bezug entdeckt, den ich als Kind in den 1990er Jahren auch hatte", erinnert sich Neubauer.

Um ihren Bedarf an Rohstoffen zu decken, bezieht die Firma die Heimtextilien mittlerweile größtenteils von dem niederländischen Textilsortierungsunternehmen Boer Group, das sieben Sortierbetriebe in Westeuropa unterhält. 70.000 Tonnen Altkleidung sammelt das Unternehmen allein in Deutschland pro Jahr. Es bekommt das Material von Gemeinden, Städten und karitativen Organisationen wie etwa den Maltesern.

Wiederverwertungskette

Dann werden die Sachen Stück für Stück von Hand sortiert. Es gibt etwa 350 verschiedene Kategorien, zum Beispiel Sommer- oder Winterkleidung und allein 45 verschiedene Oberhemd-Sorten, von kariert bis kurzärmelig.

"60 bis 70 Prozent der gesammelten Kleidung wird danach als Second-Hand-Kleidung weiterverkauft", sagt Rainer Binger von der Boer Group in Deutschland. Absatzländer sind Osteuropa, Afrika, Lateinamerika. Der Rest wird weitgehend recycelt – zum Beispiel zu Putzlappen oder Filzmatten. Mit "Moot" werde ein weiteres Puzzleteil in der Wiederverwertungskette ergänzt, so Binger: das Upcycling.

70 Prozent der Weltbevölkerung tragen Second-Hand

Dies kenne er auch aus anderen Zusammenhängen. "In afrikanischen Ländern ist es schon lange üblich, aus alter Bettwäsche Kleidung zu machen", sagt er. 70 Prozent der Weltbevölkerung nutzten die Möglichkeit der Secondhand-Kleidung. In Deutschland führe der Secondhand-Markt dagegen immer noch ein Nischendasein. Anders sei das etwa in den Niederlanden, wo das Textilsortierungsunternehmen Boer vor 110 Jahren gegründet wurde.

Regional produziert und vertrieben 

Günstig ist "Moot" nicht: Ein T-shirt kostet ab 49 Euro Euro, eine Jacke ab 189 Euro. "Dafür ist aber alles regional in Berlin produziert. Die T-Shirts werden neun Kilometer von hier genäht und diese Arbeit wird fair bezahlt", sagt Neubauer, dessen Team mittlerweile 17 Personen umfasst.

Und wie ist das mit weltweiter Expansion? "Es gibt vereinzelte Anfragen nach unserer Mode etwa aus den USA", sagt Neubauer. "Aber das ist nicht das, was wir wollen. Aus Umweltgründen macht es schließlich keinen Sinn, die Kleidung hier zu produzieren und dann weltweit zu verschicken."

Quelle:
KNA