Bereits mit 13 Jahren ist für Nulf Schade-James klar: Er möchte Pfarrer werden. Fasziniert vom langen Gewand und der Gemeinschaft in der Kirche begibt er sich 1978 auf eine lange Reise ins Pfarramt. Die Reise führte den 64-Jährigen nicht nur in die Kirche, sondern auch auf die Bühne. "Ich bin auch Drag-Queen, manchmal. Aber ich bin vor allem Pfarrer", sagt er.
Nur wenige Tage nach Studienbeginn kommt allerdings die erste Ernüchterung. "Sollte von euch jemand homosexuell sein, dann könnt ihr gleich aufhören mit dem Studium. Ihr habt keine Chance", erinnert sich der Pfarrer an die Worte eines Theologie-Professors.
"Outing war ein Aufatmen"
Seine Chance lässt sich der damals 20-Jährige nicht nehmen. Frisch in Frankfurt angekommen ist der Theologiestudent hin- und hergerissen zwischen dem aufregenden schwulen Nachtleben und dem Image, das er vor Freunden und Familie aufrechterhalten muss.
Noch im selben Jahr outet sich der Student zuerst bei seinen engen Freundinnen. "Das war ein Aufatmen bei allen. Auch bei mir selbst, einfach zu sagen: Ich bin's. Gleichzeitig aber auch immer noch dieses Doppelleben mit meinem Zuhause", sagt der Pfarrer.
An der Uni ist der Student dann der Kommilitone mit den bunten Kleidern und der ab und zu mal mit Perücke singt. Bei den Eltern zieht er sich vor dem Mittagessen erstmal um - und das ganze zwei Jahre lang. "Dieses Drag, ohne dass wir es Drag nannten, war schon immer da. Das gehört ja auch stückweit zu unserer Kultur", erzählt der Pfarrer.
Zuhause wird der Spagat zwischen den Identitäten immer schwieriger. Dann kam das Outing. "Das war nicht nett, das war schrecklich. Ich habe erstmal den Kontakt abgebrochen", sagt Schade-James. Nach und nach wurde das Verhältnis zur Familie deutlich besser.
Queer in der Kirche
Mitte der 1980er Jahre folgt auch das Outing in der Kirche. "Ich brauchte jemanden, der damit umgehen konnte, dass die einen schwulen Vikar bekommen", erzählt Schade-James. Und das gelang: Schade-James habe wesentlich dazu beigetragen, dass queere Menschen als Haupt- und Ehrenamtliche zeigen können, wer sie seien, sagt Prodekan Holger Kamlah über den Pfarrer.
Sein Engagement sei "ein wesentlicher Grund für den Lernprozess der evangelischen Kirche in Hessen und Nassau der letzten 25 Jahre". Dieser Lernprozess habe "zu einer vorbehaltlosen Anerkennung queerer Lebensformen geführt". Nach einem Auslandsaufenthalt in Kairo, wo er tief in das schwule Nachtleben eintauchte, verliebt sich der Pfarrer in einen amerikanischen Soldaten, den er nur wenige Jahre später kirchlich heiratet.
1996 werden die beiden Männer von einer befreundeten Pfarrerin in Frankfurt getraut. "Es musste sein. Es musste einer einen Anfang machen." Die evangelische Kirche "Frieden und Versöhnung" in Frankfurt wird Schade-James zweites Zuhause. Und auch die Liebe zum Drag wächst weiter mit. "Auf die Bühne gegangen bin ich immer. Irgendwie gab es irgendwo in einer Schublade immer Drag", erklärt der Pfarrer.
Dragqueen Greta Gallus
Die Schublade öffnete er immer öfter - ob bei Faschingsfeiern der Gemeinde in den 1990er Jahren oder beim Männerballett. "Es war Kirche an einem anderen Ort, es war Gemeinschaft, es war lachen", erinnert sich Schade-James.
Bei einer Gala zu Ehren einer verstorbenen befreundeten Drag-Queen tritt der Pfarrer als "Greta Gallus, Freifrau von Sodom ohne Gomorrha, Tunte und Künstlerin" auf. Der Name soll auch ein wenig religiöse Provokation sein. "Diese Greta Gallus, die ich erschaffen habe, das ist so eine alte, verhuschte, die über ihre Schuhe stolpert. Greta verbreitet Chaos, egal wo sie ist." Mal tritt Greta Gallus alleine auf, mal mit ihrem Mann. Zuletzt dieses Jahr auf der eigenen Silberhochzeit. "Wir versuchen weiterhin den Stachel ins Fleisch zu legen. Und wir werden es wieder machen."