DOMRADIO.DE: Eine interessante Geschichte hat sich schon zum Ende des Kirchenstaates zugetragen, oder?
Ulrich Nersinger (Vatikanexperte und Autor): In der Tat. Als der Kirchenstaat im Jahr 1870 zusammenbrach, wurde der Quirinalspalast, der ja in päpstlichen Besitz war, von den Italienern in Beschlag genommen.
Die waren jedoch ganz entsetzt, weil sämtliche Türen und Schlösser zu waren. Die Schweizergarde, die dort postiert war, hatte alles abgeschossen.
Man ging dann in den Vatikan hinein und wurde beim Papst vorstellig und verlangte die Herausgabe der Schlüssel. Daraufhin sagte der Papst: "Warum denn das? Die haben doch Dietriche."
DOMRADIO.DE: Gab es denn viele Diebstähle?
Nersinger: Wir wissen nicht von vielen Diebstählen, weil der Vatikan daran interessiert war, das nicht an die große Glocke zu hängen. Aber mit der Gründung des neuen Kirchenstaates, des Vatikanstaates im Jahr 1929 kamen immer mehr Verbrechen kleineren und größeren Ausmaßes zu Tage.
Kurz nach der Gründung des Vatikanstaates gab es einen findigen Kleinkriminellen. Der hat versucht, mit einer Schnur und einem Stück Seife sämtliche Opferstöcke des Petersdoms zu leeren, was ihm teilweise gelang. Er wurde von der Polizei aufgegriffen und musste dann eine kleine Haftstrafe im Vatikan absitzen.
DOMRADIO.DE: Was wurde ansonsten noch gestohlen?
Nersinger: Gerade nach der Gründung des Vatikanstaates galt es viele Neubauten zu errichten oder Umbauten vorzunehmen. Da verschwanden ganze Säcke mit Zement und anderen Baustoffen. Das wurde auch publik. Da hat man dann durchzugreifen versucht. Man hat die meisten Täter auch schnappen können.
DOMRADIO.DE: Waren das immer zwielichtige, typische Diebe oder auch andere Personengruppen?
Nersinger: Es betraf eigentlich alle Personengruppen. Das ging vom einfachen Arbeiter bis hin zum hohen Geistlichen. Es gibt eine ganze Reihe von Beispielen, bei denen man versuchte, das unter der Decke zu halten. Es ist mehrfach passiert, dass auch Prälaten Bücher aus den Vatikanischen Sammlungen gestohlen haben. Da gab es schon ein breites Raub-Publikum.
DOMRADIO.DE: Ein spektakulärer Fall ist noch gar nicht so lange her. Paolo Gabriele, der Kammerdiener von Papst Benedikt XVI. ist hier zu nennen. Was war da im Jahr 2012 los?
Nersinger: Der hat nicht nur Dokumente aus dem Vatikan geschafft. Vielmehr hatte er in seiner Wohnung ein relativ großes Lager bestehend aus Münzen und Geschenken an den Papst eingerichtet. Das war eine ganz beträchtliche Sammlung, die da aufgetaucht ist.
DOMRADIO.DE: Diebstähle im Vatikan wurden gerne auch verschwiegen. Wurde denn alles Mögliche aus den Kirchen und Museen geklaut?
Nersinger: Ich kann mich an eine Geschichte erinnern, die sich zu meiner Studienzeit in den 1980er Jahren in Rom abspielte. Nachdem wir eine Führungen durch das damalige Geheimarchiv bekamen, wurde uns gesagt, dass es eine Gruppe gab, die einige Wochen vor uns auch eine Führung hatte. Meistens sind das Studenten oder Professoren. Danach fiel auf einmal auf, dass eine Reihe von Dokumenten, aber auch Siegel, die an Dokumenten hingen, verschwunden waren.
Wer die Besucher waren, wurde aufgelistet. So konnte man herausfinden, dass eigentlich nur eine Gruppe von Professoren dafür in Frage kam. Man ließ das dann in gewissen Kreisen durchblicken. Auf einmal tauchten diese Gegenstände wieder auf. Die wurden mit der Post an den Vatikan zurückgeschickt. Man war also auch nicht bei Besuchen von Universitätsprofessoren sicher.
Das Interview führte Carsten Döpp.