DOMRADIO.DE: Auch in diesem Jahr haben Sie neue Weihnachtsmusik geschrieben. Grundlage für die drei neuen Lieder sind dieses Mal Texte der deutschen Autorin Friederike Karig. In Castrop-Rauxel und Dortmund werden die Stücke uraufgeführt. Ist es die Musik, die das besondere Weihnachtsgefühl auslöst? Ist Musik der Schlüssel, dass wir verstehen, worum es an Weihnachten geht?
Bob Chilcott (Komponist aus England): Ich glaube, die Musik kann eine Menge zu unserem Blick auf Weihnachten beitragen. Denn viele der Lieder, die wir hier in Großbritannien singen, sind Hymnen. Es ist die Idee, gemeinsam zu singen, Gemeinschaft zu haben. Jeder kennt die Lieder, jeder kennt die Worte. Das zeigt, was es vielen Menschen bedeutet und ich glaube, dass das eine sehr kraftvolle Sache ist und dass die Musik viel zu dem beitragen kann, was wir an Weihnachten fühlen.
DOMRADIO.DE: Was kann die Musik erreichen? Ist es das Gefühl der Gemeinschaft oder sogar ein Gefühl des Himmels?
Chilcott: Ich glaube, es ist beides. Es erinnert uns an unsere Verbindung zu dieser Zeit im Jahr. Viele haben eine Art inneres Verständnis der Worte und natürlich der Melodien. Der Gemeinschaftsaspekt ist sehr stark, sogar dann, wenn man nicht gläubig ist. Das ist vermutlich in Deutschland so ähnlich, aber hier gehen viele Menschen zur Kirche an Weihnachten - und das ist das einzige Mal im Jahr.
Ich habe einen Freund, der Priester ist. Der hat sich in einem Jahr für eine neue Übersetzung der biblischen Weihnachtsgeschichte entschieden. Da war ein Mann, der nur zur Weihnachten in die Kirche kommt. Nach dem Gottesdienst kam er zu dem Priester und sagte: "Das war aber nicht die Weihnachtsgeschichte!" Vielen von uns ist besonders die Weihnachtserzählung aus dem Lukas-Evangelium sehr vertraut und zwar ganz unabhängig, ob man gläubig ist oder nicht.
DOMRADIO.DE: Wie wichtig ist Weihnachten für Sie als Komponist?
Chilcott: Es ist eine sehr bedeutsame Zeit für mich. Ich bin als Sänger in der kirchlichen Tradition groß geworden und das gilt auch für meine Arbeit als Komponist. Ich habe viel Weihnachtsmusik geschrieben, das ist schon ein Schwerpunkt für mich.
Es ist auch die Zeit, in der Chöre besonders viel in die Musik investieren, die sie dann zu Weihnachten singen werden. Ganz aktuell habe ich drei neue Weihnachtslieder geschrieben zu Texten einer deutschen Autorin, Friederike Karig. Als Komponist habe ich vor Weihnachten immer viel zu tun.
DOMRADIO.DE: Was ist das Besondere an diesen drei neuen Weihnachtsliedern?
Chilcott: Ich habe Musik zu drei neuen Texten geschrieben. Sie hat ganz wundervolle neue Texte geschrieben. Auch zu neuen englischen Texten habe ich schon einige Lieder geschrieben. Neue Texte zu haben, ist wirklich sehr wichtig, finde ich. Für den Autoren ist es wirklich schwer, neue Ansätze und Perspektiven zu finden.
Viele Menschen sind sehr vertraut mit den traditionellen Texten und so musst Du neue Wege finden, die Botschaft den Menschen nahe zu bringen. Mir hat es großen Spaß gemacht, diese neuen deutschen Texte von Friederike Karig zu vertonen. Texte aus ihrer Perspektive, sie ist Deutsche, kommt aus einer anderen Tradition, einer leicht anderen Position. Diesen etwas anderen Blickwinkel liebe ich sehr.
Wir haben drei Lieder mit Orchester geschrieben. Das Erste dreht sich ganz um die Dunkelheit, das Zweite heißt "Ein Funke", es geht um den Funken Licht, den die Geburt dieses Kindes bringt. Und das dritte dreht sich dann ganz um das Licht, um das Licht der Welt. Eine wundervolle Botschaft, die sie ganz toll umgesetzt hat.
DOMRADIO.DE: Ist es für Sie leichter, Musik zu neuen Texten zu schreiben als zu traditionellen Bibeltexten?
Chilcott: Ich finde es viel spannender mit neuen Texten zu arbeiten. Ich habe immer wieder mit englischen Autoren zusammengearbeitet. Die bringen eine ganz neue Energie in eine Geschichte, die jeder kennt. Das ist einfach gut. Hier in unserem Land sind Menschen sehr offen für diese neuen Gedanken, zumindest so lange es gut zu der Botschaft passt, die sie von Weihnachten kennen. Ich liebe das sehr.
Für ein Festival 2018 habe ich mal ein Weihnachtsoratorium geschrieben, da habe ich die ganz traditionellen Texte gesetzt. Auch das war toll, aber wenn du das mit Texten machst, die jeder kennt, dann musst du im Stil auch mit vielen bekannten umgehen. Deshalb finde ich die Arbeit mit neuen Texten auf eine Art freier.
DOMRADIO.DE: Wie finden Sie Ihre Inspiration für die neue Weihnachtsmusik?
Chilcott: Ich bin sehr an den Worten interessiert. Sie sind für mich der Schlüssel. Ich liebe die Liturgie sehr und auch die Übersetzung der St. James Bibel. Die Sprache dieser englischen Bibel ist wundervoll und der fühle ich mich sehr verbunden. Die Sprache inspiriert mich wirklich.
Gleichzeitig fasziniert mich bei neuen Texten die neue Idee, die neue Perspektive auf Weihnachten. Vor einem oder zwei Jahren habe ich ein neues Stück geschrieben über Maria, aber nicht aus der bekannten Perspektive, sondern über Maria als Mutter, was ich für eine wertvolle Sicht halte. Da gab es einen ganz herausragenden neuen Text, der eine Verbindung geschaffen hat zu vielem, was die Menschen berührt. Das war eine wirklich interessante Sicht auf Weihnachten und das inspiriert mich sehr.
DOMRADIO.DE: Im King’s College in Cambridge, in dem Sie schon als Kind waren, wird seit gut 40 Jahren jedes Jahr ein neues Weihnachtslied in Auftrag gegeben. Ist das wichtig, dass es das gibt?
Chilcott: Ja, diese Tradition geht zurück auf Stephen Cleobury. Er hat schlauerweise in den 80er Jahren damit angefangen. Er hatte viele verschiedene Lieder auch aus verschiedenen Ländern. Ich erinnere mich an die Geschichte, als er Arvo Pärt fragte, das neue Stück zu schreiben. Er hatte aber nur ein beschränktes Budget und das reichte für Arvo Pärts Musik nur für eine Minute und so hat Arvo Pärt ein Stück geschrieben, das eine Minute lang ist. Bogoroditse Djevo, ein wunderbares Lied.
Ich durfte auch einmal etwas schreiben für das King’s College. Im Jahr 2000 habe ich "Shepherds Carol" geschrieben. Aber das war nicht für den Radiogottesdienst an Heiligabend, sondern für die TV-Übertragung, die ein paar Tage davor aufgezeichnet wird.
DOMRADIO.DE: Geht es auch darum, Neues über Weihnachten zu lernen?
Chilcott: Ja, auch um einen zeitgemäßeren Blick zu bekommen auf etwas, was jeder kennt. Das ist wirklich eine gute Sache.
Das Interview führte Matthias Friebe.
In der Sendung "Musica" am Abend des dritten Adventssonntages wird das Interview in voller Länge ab 20 Uhr im Radioprogramm von DOMRADIO.DE mit Werken von Chilcott ausgestrahlt.