DOMRADIO.DE: Der Bundesparteitag der CDU ist am Montag mit einem ökumenischen Gottesdienst gestartet. Wie haben Sie den erlebt und was haben Sie da den Politikerinnen und Politikern mit auf den Weg gegeben?
Prälat Karl Jüsten (Leiter des Kommissariats der deutschen Bischöfe): Das war ein sehr schöner Gottesdienst. Meine evangelische Kollegin und ich haben ihn gemeinsam mit den Delegierten gefeiert, er war auch sehr gut besucht. Meine Kollegin hat die Abgeordneten noch mal auf das Gebet eingestimmt und darauf, wie bedeutend das Gebet für uns als Christen ist.
In meiner Ansprache habe ich dann aufgezeichnet, was aus unserer Sicht für ein Grundsatzprogramm der CDU wichtig ist. Es ging mir ausgehend vom Evangelium, wo es um den Wahrheitsanspruch Jesu geht, darum klar zu machen, was christliche Wahrheit ist und was politische Wahrheit ist.
Politische Wahrheiten sind relativ, sodass auch ein Grundsatzprogramm zwar schon ein großes Gewicht hat, aber immer wieder auch revidiert werden kann. Das zeigt ja auch die Vielzahl der Grundsatzprogramme, die die CDU hatte.
Dann habe ich noch mal klargemacht, was es heißt, sich auf den christlichen Glauben zu beziehen. Viele Fragestellungen, die eine Partei beschäftigen, können eben nicht beliebig sein, sondern im Grunde genommen durch den christlichen Glauben bereits vorbestimmt sind.
DOMRADIO.DE:. Wie stark ist das Grundsatzprogramm, das heute verabschiedet wird, Ihrer Meinung nach vom christlichen Menschenbild geprägt?
Jüsten: Man kann ganz klar spüren, dass es der CDU wichtig ist, mit dem christlichen Glauben "im Einklang" zu sein. Das merkt man an verschiedenen Stellen. Der EAK (Evangelischer Arbeitskreis Ehe und Familie, Anm. d. Red.) hat auch noch mal einen Änderungsantrag eingebracht, dass der Gottesbezug im Grundsatzprogramm auch Erwähnung finden soll.
Es wird oft Bezug auf das christliche Menschenbild genommen. Da merkt man schon, dass eine klare Stoßrichtung existiert. Aber das Menschenbild bleibt dann irgendwo vage stehen. Es wird im Grunde genommen nicht wirklich ausbuchstabiert, was dahinter steckt. Es würde sich anbieten, das noch nachzuholen. Denn solange das nur wie ein Schild oder eine Monstranz vor sich her getragen wird, bleibt es natürlich irgendwo eine Leerformel.
DOMRADIO.DE: Was würden Sie sich da konkret wünschen?
Jüsten: Die Union folgt uns ja gut im Bereich des Lebensschutz. In der Hinsicht ist die Union auch für die Beibehaltung des jetzigen Paragraph 218. Auch in der Frage des assistierten Suizid entspricht die CDU im Grunde genommen unserer Meinung. Der Mensch muss sich auch am Lebensende seines Lebens sicher sein. Darum müssen solche Dinge auch im Strafrecht geregelt sein, damit das Leben optimal geschützt ist.
Es gibt also große Übereinstimmungen. Strittig diskutieren wir augenblicklich die Frage der Migration. Da sehen wir, dass dieses sogenannte "Ruanda Modell" oder die Abschiebung in Drittstaaten eigentlich mit dem Menschenbild nicht vereinbar ist.
DOMRADIO.DE: Da gab es eine Protestnote von vielen Theologinnen und Theologen. Auch Erzbischof Heße, der für die Migration zuständig ist, hat da einen Einwurf gemacht. Wie wird das denn in der Diskussion und auf dem Parteitag aufgenommen?
Jüsten: Darauf bin ich natürlich von fast allen angesprochen worden. Das hat viele Delegierte verunsichert, weil sie eigentlich nicht mit den Bischöfen im Dissens sein wollen. Gleichwohl habe ich dann gesagt, dass das auch bei solchen Fragen wichtig wird, wenn man eine Regelung treffen möchte, die gegen die Genfer Flüchtlingskonvention ist und nach unserer Auffassung auch mit dem Grundgesetz nicht übereinstimmt.
Wir sagen, dass jeder Mensch, der zu uns kommen will, immer ein Verfahren bei uns durchlaufen muss. Danach wird geprüft, ob ein Asylgrund oder ein Flüchtlingsgrund vorliegt. Dann aber die Menschen wieder nach Afrika zu schicken, wo diese Verfahren durchgeführt werden, halten wir für schwierig.
Darüber hinaus wurde die Frage aufgeworfen, ob es überhaupt ein Land gibt, was das nach unseren Standards machen kann? Ist es denn richtig, dass wir unsere Probleme, die wir hier in Europa haben, in einen belasteten Kontinent wie Afrika "exportieren"? Die Anzahl der Binnenflüchtlinge in Afrika ist eh schon viel höher als diejenigen, die zu uns nach Europa kommen.
Das heißt, wir verlagern unsere Probleme in einen Problem-Kontinent, nach Afrika. Das halte ich für moralisch schwierig.
DOMRADIO.DE: Allerorten wird der Bedeutungs- und Relevanzverlust der Kirchen beklagt. Haben Sie das Gefühl, dass die Kirche bei den Politikern noch eine bedeutende Stimme hat?
Jüsten: Wenn wir uns als Kirche vernünftig und sachgerecht äußern, dann wird das schon gehört. Jetzt haben wir gerade die besagte Eingabe des Erzbischofs von Hamburg, die noch munter diskutiert wird. Man kann nicht davon ausgehen, dass wir uns immer eins zu eins durchsetzen. Aber das war in der Demokratie noch nie der Fall.
Die Demokratie lebt auch von Kompromissen. So ist etwa aus unserer Sicht der Paragraph 218 ein Kompromiss, mit dem wir uns als Kirche aber jetzt arrangiert haben und von dem wir sagen, dass es jetzt besser ist als eine Aufweichung des Kompromisses.
Da werden wir schon gehört. Ebenso beim assistierten Suizid. Es sind eben Stellungnahmen aus dem Raum der Kirchen gewesen, die als sehr beachtlich empfunden wurden. Da sehe ich überhaupt keine allgemeine Klage des Bedeutungsverlustes.
Geändert hat sich aber, dass wir nicht mehr als Kirche gehört werden, bloß weil wir Kirche sind. Aber wenn wir als Kirche gute Argumente vortragen, dann werden sie eigentlich von allen Parteien gehört. Vielleicht weniger von der AfD, aber das ist nicht so schlimm, weil die Partei nie auf uns hört.
DOMRADIO.DE: Die Demokratie ist durch Rechtsextremismus, aber auch durch Antisemitismus bedroht. Was wünschen Sie den Delegierten für den weiteren Verlauf des Bundesparteitags?
Jüsten: Da gab es am Montag ein sehr starkes Signal von dem Bundesparteivorsitzenden Friedrich Merz, denn er hat an dieser Stelle klar gesagt, dass Antisemitismus, Antiislamismus und Fremdenfeindlichkeit in diesem Land nichts zu suchen haben. Da gab es eine klare Abgrenzung zu rechts und auch zu links. Da können wir gut mitgehen.
Das Interview führte Johannes Schröer.