Wie will der Kölner Generalvikar Vertrauen zurückgewinnen?

Austrittswelle macht betroffen

Hohe Austrittszahlen aus der Katholischen Kirche machen den Kölner Generalvikar Markus Hofmann traurig und erschüttern ihn. Wie lässt sich jetzt das Vertrauen der Menschen zurückgewinnen? Unaufgeregt, aber überzeugend.

Dr. Markus Hofmann / © Henning Schoon (KNA)
Dr. Markus Hofmann / © Henning Schoon ( KNA )

DOMRADIO.DE: Wie ist Ihre erste Reaktion auf die heute veröffentlichten Austrittszahlen?

Dr. Markus Hofmann (Generalvikar des Erzbischofs von Köln): Mich persönlich machen diese Zahlen wirklich traurig und sie erschüttern mich, auch wenn sie nicht überraschend gekommen sind. Wir müssen leider klar feststellen, dass die Kirchenaustrittszahlen enorm gestiegen sind. Das hat sicherlich nicht nur mit dem Nachholeffekt von Corona zu tun, sondern zeigt, dass viele Menschen sich von der Institution Kirche enttäuscht abwenden. Und es führt uns bei den vielen krisenhaften Momenten, die es gibt – Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch und anderes –, vor Augen, dass es derzeit nicht gelingt, breit das Vertrauen der Menschen zu erwerben oder wiederzugewinnen. Aber umso wichtiger ist es, dass wir das ernsthaft versuchen.

DOMRADIO.DE: Auf welche Herausforderungen muss die Kirche jetzt reagieren?

Hofmann: Wir können nicht einfach zur Tagesordnung übergehen, das wäre auf jeden Fall falsch. Wir müssen Vertrauen zurückgewinnen. Das geht zuallererst durch Taten an erster Stelle, durch konkrete Verhaltensweisen und dann eben auch durch Worte. Wir müssen die Botschaft Jesu Christi so verkünden, dass die Menschen sie heute verstehen. Denn diese Botschaft ist nach wie vor hochaktuell und wichtig.

Durch unser Verhalten in den Pfarrgemeinden vor Ort, durch die konkrete Begegnung mit den Engagierten, mit den im Seelsorgeteam Tätigen, durch gute, glaubwürdige geistliche Gottesdienste, durch konkrete Hilfen, wie wir es zurzeit tun, etwa bei den Ukraine-Flüchtlingen und bei anderen Notleidenden. Ich glaube, dass viele gute Seiten der Kirche da sind, die wir kontinuierlich neu, unaufgeregt, aber überzeugend zeigen sollten.

DOMRADIO.DE: Was sagen Sie denn den Menschen, die beklagen, sie gäben jeden Monat so viel Geld für die katholische Kirche aus und sähen nicht, dass das Geld richtig angewandt wird?

Hofmann: Ich glaube, hier hilft es genauer hinzuschauen. Das eine ist, dass wir natürlich mit dem Geld Dinge tun, die für viele Menschen selbstverständlich erscheinen, aber so selbstverständlich nicht sind. Im Erzbistum Köln betreiben wir 33 Schulen, die großen Zulauf finden, wo offenbar nach wie vor großes Vertrauen in die Kirche gesetzt wird. In die Seelsorge geht der größte Posten richtigerweise in die Kirchengemeinden. Wir haben in der Corona-Zeit viele Gottesdienste streamen können. Darauf habe ich viel positive Resonanz erhalten. Immer wieder sagten Menschen: "Gott sei Dank, dass ihr das tut, dass wir wenigstens auf diese Weise teilnehmen können".

Und jetzt sind viele glücklich, auch wieder in die geöffneten Kirchen gehen zu können. Im caritativ-sozialen Bereich gibt es viele Angebote, die auch Personen nutzen können, die nicht zur Kirche gehören. Ja, wir bekommen dafür anteilig vom Staat finanzielle Vergütung. Das ist auch in Ordnung, da wir hier staatliche Aufgaben übernehmen.  Und die Menschen, die sagen "was macht die Kirche mit meinem Geld", möchte ich auf unsere Information verweisen "Kirchensteuer im Erzbistum Köln". Viele wichtige Dinge können wir damit finanzieren, die sonst nicht nur der Kirche, sondern auch der Gesellschaft fehlen würden: Beratungsangebote, Flüchtlingshilfe, Kindertageseinrichtungen, Familienzentren, offene Kirchen als Orte der Besinnung und des Gebetes.

DOMRADIO.DE: Wenn die Kirche immer mehr an Bedeutung verliert – was fehlt der Gesellschaft, das die Kirche der Gesellschaft geben kann?

Hofmann: Mich hat mal Gregor Gysi nachdenklich gemacht, jemand, der selbst sagt, er glaube gar nicht an Gott. Er sagt: "Ich fürchte eine Gesellschaft ohne Kirche, ohne gläubige Menschen". Auch andere kluge Menschen weisen darauf hin, wie wichtig es ist, die Sinnfrage unserer ganzen Existenz immer wieder in Erinnerung zu rufen. Was soll denn das Ganze, was wir erleben mit Krieg, mit Pandemie, wenn das alles überhaupt keinen Sinn hat, da kann man ja am Ende fast nur noch verzweifeln. Und von Jesus Christus zu hören, dass all dies von Gott aufgefangen wird, dass es nicht einfach das Nichts am Ende des Lebens gibt, sondern dass mein und unser Leben trotz aller Beschwernis eine Zukunft hat. Das ist, glaube ich, eminent wichtig.

DOMRADIO.DE: Und was macht Ihnen auch ganz praktisch Hoffnung? Hoffnung für die Zukunft der Kirche?

Hofmann: Hoffnung macht mir das, was nicht unbedingt immer in den Zahlen, die heute veröffentlicht wurden, sichtbar wird. Ich war vor einiger Zeit bei einem Jugendfestival bei uns im Erzbistum. Mehr als 300 junge Leute, die ein ganzes Wochenende begeistert zusammengekommen sind, ganz spontan in ihrer konkreten Weise aufzutreten: frohgestimmt, natürlich, nicht naiv, nicht kindisch. Sondern auch sie hatten wesentliche Fragen und haben sie untereinander ausgetauscht. Doch sie strahlten eine tiefe, überzeugende Hoffnung aus, die auch Generationen, die etwas älter waren, positiv berührt hat.

Das Interview führte Johannes Schröer.

Quelle:
DR
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