Eine Rückbesinnung auf die Grundtugenden Glaube, Hoffnung Liebe, aber auch auf die Kardinaltugenden Klugheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit und Maß forderte der Kölner Innenstadtpfarrer Dr. Dominik Meiering in seiner Predigt am Tag Allerseelen. Angesichts des Totengedenkens, das die Kirche an diesem Tag in den Mittelpunkt stellt und das viele Menschen zum Anlass nehmen, die Gräber ihrer Angehörigen mit Kerzen und Blumen zu schmücken, malte er ein realistisches Bild von diesem Corona-Herbst: verkürzte Tage, verwelkte Blätter, eine dunstige Atmosphäre. Eben die Stimmung einer Jahreszeit, die, wie Meiering betonte, auf eigentümliche Weise an Vergänglichkeit und Vergeblichkeit gemahne und niemanden von dieser ewigen Kette von Geburt und Tod ausschließe.
Diese Gewissheit hätten gerade die letzten Monate in eindringlicher und schrecklicher Weise vor Augen geführt – "und das in einer globalen wie individuellen Not, wie wir sie wohl alle nicht für möglich gehalten haben", sagte Meiering mit Blick auf die Corona-Pandemie. Er erinnerte noch einmal an die einsam Verstorbenen, an die Bilder mit den Leichentransporten in Bergamo, an die isolierten Menschen in den Altenpflegeeinrichtungen, an die Kinder, die ihre Spielgefährten vermisst hätten, an das Pflegepersonal und die Ärzte am Limit ihrer Kräfte. Und der momentane Kampf gegen die zweite Welle, so der Seelsorger, zeige, dass ein Ende nicht absehbar sei, das Virus noch lange erhalten bleibe.
Hoffnung auf Zuwachs an Solidarität und Nächstenliebe
"Das Unheimliche und Erschreckende der gegenwärtigen Lage ist", erklärte der Koordinator des Sendungsraums Kölner Innenstadt, "dass unser vertrautes und gewohntes Verhältnis zur Zeit massiv gestört ist." Normalerweise gebe es nach einem Unglück eine Perspektive der Wiederherstellung und Heilung. "Nun aber scheint sich die Zeit unendlich zu dehnen; der Schein-Sommer, als wir dachten, wir kämen noch einmal alle glimpflich davon, ist verglüht." Der Mensch aber könne nur mit einer Zeitstruktur existieren: mit einem Vorher und einem Nachher, mit einer Beständigkeit des Verlässlichen und Wiederkehrenden. "Deshalb ist es jetzt besonders wichtig, Netze der achtsamen Wahrnehmung zu knüpfen: zu den Kindern, den alten Menschen, zu den Nachbarn. Der virologischen Distanz muss umgekehrt eine empathische Aufmerksamkeit entsprechen", sagte Meiering wörtlich.
Gerade die Masken trainierten dazu, Einzelheiten im Gesicht des anderen genauer in den Blick zu nehmen. "Dies mag symbolisch dafür stehen, unscheinbare und versteckte Nöte und Ängste schärfer und klarer zu beobachten", erklärte er. Viele erhofften sich nun – wie auch Papst Franziskus in seiner neuen Enzyklika "Fratelli tutti" äußere – einen Zuwachs an Solidarität und Nächstenliebe. "Aber es wäre illusorisch, darauf zu hoffen, dies geschähe sofort und allumfassend. Dazu bedarf es eines sehr langen Atems, viel Geduld und Sachvernunft."
Meiering: Jedes Leben ist von Gott gewollt
Gerade das Totengedenken an Allerseelen mache einmal mehr deutlich, so der Domkapitular, dass jedes Leben lebenswert sei, seinen Wert an und für sich habe und nicht gegen andere Leben aufgewogen werden könne. "Jedes Leben – in der Vergangenheit, in der Gegenwart, in der Zukunft – ist von Gott gewollt." Es werde so viel über Inzidenz- und Infektionszahlen, über Hygieneabstandsregeln, Alltagsmasken, Warn-Apps und richtiges Lüften gesprochen. "Doch jenseits allen epidemiologischen Krisenmanagements", mahnte Meiering, "brauchen wir ein globales Seelenmanagement. Denn unsere Seelen sehnen sich nach dem Himmel."