Wissenschaft trifft Glaube beim True Crime Podcast

"Entweder Massenmord oder massenhafter Betrug"

Die Heilige Ursula ist eine Stadtpatronin von Köln. Ob es in ihrer Geschichte eher um Massenmord oder aber massenhaften Betrug geht, damit hat sich ein Journalist in seinem Podcast genauer befasst. Mit erstaunlichem Ergebnis.

Deckenmosaiken aus menschlichen Knochen und Kopfreliquiare in der Goldenen Kammer der Kirche Sankt Ursula in Köln / © Henning Schoon (KNA)
Deckenmosaiken aus menschlichen Knochen und Kopfreliquiare in der Goldenen Kammer der Kirche Sankt Ursula in Köln / © Henning Schoon ( KNA )

DOMRADIO.DE: In Ihrem True Crime Podcast im Kölner Stadt-Anzeiger nehmen Sie sich ausschließlich Fälle vor, die irgendetwas mit Köln zu tun haben. Was steckt dahinter?

Helmut Frangenberg (Journalist): Es sind spektakuläre Fälle aus der Kölner Stadtgeschichte. Oft sind es aktuelle Fälle, aber zwischendurch ist es auch mal schön, etwas Historisches zu erzählen. Dadurch erfährt man viel über die Stadt, über ihre Geschichte, über die Gesellschaft in der die Verbrechen stattgefunden haben.

DOMRADIO.DE: In der neuesten Folge des Podcasts geht es um die Heilige Ursula. Dafür haben Sie sich zwei Experten eingeladen. Den Professor für das Frühmittelalter in Köln, Karl Ubl, und den Kölner Dom- und Stadtdechanten Monsignore Kleine. Haben die beiden eine unterschiedliche Meinung zur Geschichte und Legende Ursulas?

Frangenberg: Wie das so ist mit Meinungen. Es gibt Fakten und es gibt Meinungen. Spricht man über Glaube, dann gibt es noch etwas ganz anderes, was sich der Nachprüfbarkeit eigentlich völlig entzieht. Insofern kann man sagen, sie nähern sich von zwei ganz unterschiedlichen Blickwinkeln dem gleichen Thema. Der Historiker ist für die Fakten zuständig und Monsignore Kleine für das, was kirchengeschichtlich und im Glauben der Menschen daraus geworden ist.

DOMRADIO.DE: Die beiden haben sich an der Legenda Aurea entlang gehangelt. Ursula soll schön und rein sein und um den Frieden zu wahren soll sie den englischen Königssohn Aetherius heiraten. Bevor sie ihn heiratet, möchte sie aber erstmal mit einem Gefolge von 11.000 Jungfrauen eine Wallfahrt nach Rom zum Papst unternehmen. Auf dem Rückweg kommend, werden sie dann von den Hunnen niedergemetzelt. Kann man das so erklären?

St. Ursula (DR)
St. Ursula / ( DR )

Frangenberg: Ganz grob zusammengefasst geht das. Diese Legenda Aurea ist ein Lexikon mit heiligen Geschichten aus dem 13. Jahrhundert. Die Legende der Heiligen Ursula ist aber schon sehr viel älter. Was ich besonders finde an dieser Geschichte, das wird oft verschwiegen, ist, dass Ursula schon auf der Hinfahrt zum Papst weiß, dass sie auf der Rückfahrt sterben wird. Dass sie ein Martyrium erleiden muss. Aus heutiger Sicht ist das völlig unverständlich. 

DOMRADIO.DE: Die Heilige Ursula ist die Schutzpatronin der Stadt Köln und Monsignore Robert Kleine erklärt das im True Crime Podcast folgendermaßen: "

Die Heilige Ursula findet ihre letzte Ruhestätte in Köln, wo ja auch ihr Grab entdeckt wurde. Es ist natürlich etwas sehr Besonderes, eine Märtyrerin in der eigenen Stadt begraben zu haben und hier in Köln sind es dann ja gleich so viele. Die Heilige Ursula war eine sehr tugendhafte, im Glauben vorbildliche Person, weshalb sie ja auch so verehrt wird. Sie hat ihren Weg des Glaubens nicht abgebrochen, als es brenzlig wurde, sondern ist als Märtyrerin in den Himmel aufgenommen worden. So sagt es uns der christliche Glaube. Und da ist sie die Fürsprecherin der Bewohnerinnen und Bewohner der Stadt, vor deren Türen und Toren sie ermordet wurde."

Wie gehen Sie im Podcast dem eigentlichen Verbrechen nach?

Frangenberg: Die Frage ist, welches Verbrechen überhaupt erstmal geklärt werden muss. Stadtdechant Monsignore Kleine spricht im Präsens, nicht in der Möglichkeitsform. Der Historiker sagt uns, dass Ursula nie gelebt hat. Es ist eine schockierende Erkenntnis, die wir natürlich immer alle geahnt und vielleicht auch gewusst haben.

Wenn man von der Legende ausgeht, haben wir es mit einem brutalen Massenmord zu tun. Wenn wir aber zur Kenntnis nehmen müssen, dass es diesen Massenmord wahrscheinlich nie gegeben hat, haben wir es zu tun mit massenhaftem Betrug. Denn mit den Knöchelchen, die man irgendwann gefunden hat, hat man ja einen lebhaften Reliquien-Handel betrieben und mit diesen Knochen der 11.000 Jungfrauen viel Geld verdient. Entweder war es der Massenmord oder massenhafter Betrug mit einem mutmaßlichen Massenmord.

DOMRADIO.DE: Professor Ubl sagt über die Hunnen folgendes: "Das ist alles frei erfunden. Soviel wir wissen, haben die Hunnen Köln nie belagert." Monsignore Kleine sagt dazu: "Wir haben in der gesamten Kirchen- und Heiligengeschichte alle möglichen Legenden und das sind eben keine historischen Berichte. Oftmals haben sie aber einen wahren Kern. Die Heilige Ursula ist ein Zeichen dafür, dass Menschen ihren Glauben damals ernst genommen haben und für den Glauben eingetreten sind. Und dann sind sie auch heute ein Vorbild, ohne dass man das auf einen Tatsachenbericht zurückführen kann. Eine Legende behalte ich vielleicht auch, weil die Story so spannend ist."

Ist das etwas, wo ihr euch einigen konntet? Dass es eigentlich egal ist was wahr ist oder nicht, so lange die Geschichte spannend war?

Frangenberg: Das ist schwierig, weil Stadtdechant Kleine ja auch von einem wahren Kern spricht. Es gibt aber keinen wahren Kern, wenn man mal davon absieht, dass es vielleicht irgendwann eine Jungfrau gegeben hat, die einen Märtyrertod erlitten hat. Davon zeugt eine Inschrift, die man heute noch in St. Ursula in Köln lesen kann. Was genau passiert ist, wissen wir aber nicht. Es gibt keine Zeugnisse, es gibt keine Hinweise. Die Hunnen waren nicht in Köln. Das mit dem wahren Kern ist schon eine sehr mutige Interpretation des Stadtdechanten.

DOMRADIO.DE: Manchen Menschen sind True Crime Podcasts zu gruselig, zu viel Mord und Totschlag. Wie verhält sich das bei der Podcastfolge zur Heiligen Ursula?

Frangenberg: Natürlich ist die Vorstellung, dass irgendeiner ein Heer 11.000 Frauen ermordet und noch ein paar sie begleitende Männer. Aber wenn man weiß, wenn man weiß, dass es eine Geschichte ist, die dazu noch vor sehr langer Zeit passiert sein soll, kann man es, glaube ich, ganz gut ertragen.

DOMRADIO.DE: Die Goldene Kammer in Sankt Ursula in Köln beherbergt das größte Mosaik menschlicher Gebeine, dass es auf der Welt gibt. Wie kommen diese ganzen Knochen in die Kammer von Sankt Ursula, wenn das alles überhaupt gar nicht stimmt?

Ein Schädel in der Goldenen Kammer St. Ursula / © Oliver Berg (dpa)
Ein Schädel in der Goldenen Kammer St. Ursula / © Oliver Berg ( dpa )

Frangenberg: Als man die romanische Kirche im 12. Jahrhundert gebaut hat, hat man einen römischen Friedhof ausgebuddelt. Und die Knochen, die man da gefunden hat, sind dann zu Reliquien geworden und man hat sie verkauft als Knochen der 11.000 Jungfrauen. Ein Großteil oder ein großer Teil dieser Knochen ist dann tatsächlich zum Wandschmuck und zum schmückenden Beiwerk in dieser Goldenen Kammer geworden. Das ist für viele gruselig und befremdlich.

Wir haben das im Podcast auch thematisiert: Ist das überhaupt angemessen so eine Kammer heute noch zu restaurieren? Die Kirche hat viel Geld dafür ausgegeben, damit die wieder schön wird. Aber man kann natürlich auch die Frage stellen, ob das heute noch zeitgemäß ist? Wer hängt sich Knochen an die Wand? Das ist schon ein bisschen komisch. Aber es ist natürlich auch ein historisches Zeugnis. Diese goldene Kammer ist natürlich viel jünger als die Legende. Sie hat keinen direkten Bezug, aber jeder sollte sich selbst ein Bild machen und da mal reingehen. Es lohnt sich in jedem Fall.

DOMRADIO.DE: Was motiviert Sie diesen True Crime Podcast zu machen? Sie werden keine Verbrechen aufklären und keine Schuldigen verurteilen können.

Frangenberg: Man kann an diesen Geschichten sehr viel über die Stadt Köln lernen. Die Heilige Ursula ist als Schutzpatronin natürlich sehr wichtig. Und man kann an diesem Beispiel sehen, wie aus Geschichten, möglicherweise erfundenen Geschichten, richtige Geschichte wird. Die Hunnen waren nicht in Köln, was aber viele Kölnerinnen und Kölner gar nicht wissen, dass die Wikinger hier waren und gebrandschatzt und gewütet haben. Dann hat der Erzbischof, der ja auch Fürst der Stadt war, gesagt dass die Stadt jetzt etwas für den Schutz tun müsse.

Die Menschen haben damals gedacht, dass die Heiligen der Stadt wirklich Schutz versprechen. Und so war das für sie ein Zeichen, dass die Reliquien des Heiligen Gereon nicht mehr ausreichen. Der Erzbischof schrieb dann dem Papst und bat ihn darum, dass er ihnen neue Reliquien schickt, damit sie besser geschützt werden vor Angriffen. Damals gab es noch Angriffe aus Ungarn. Es war eine gefährliche Zeit und da wollten sich die Menschen schützen. Und in diesem Zusammenhang ist dann die Legende neu belebt und ausgeschmückt worden, weil die Menschen daran geglaubt haben, dass die Heiligen wirklich Schutz spenden, wenn man sie anständig verehrt.

DOMRADIO.DE: Sie haben da gesessen mit einem Historiker und einem Geistlichen. Haben die zwei sich nicht in die Wolle gekriegt?

Frangenberg: Nein, die waren beide ganz friedlich. Und der Historiker hat stoisch ertragen, als Herr Kleine vom wahren Kern sprach. Es sind zwei Welten, die sich da begegnen und die sind sich nicht völlig fremd. Aber es ist so, wie ich am Anfang gesagt habe: Der eine ist für die Fakten zuständig und der andere für die Geschichte der Geschichte.

Das Interview führte Uta Vorbrodt.

Was sind Reliquien?

Reliquien sind die sterblichen Überreste von als heilig verehrten Personen. Primäre Reliquien sind dabei die Leichname von Seligen oder Heiligen, größere Körperteile von diesen oder die komplette Asche ihrer verbrannten Körper.

Ein Reliquiar in Gestalt einer Reliquienprozession aus dem Jahr 1893 / © Oliver Berg (dpa)
Ein Reliquiar in Gestalt einer Reliquienprozession aus dem Jahr 1893 / © Oliver Berg ( dpa )
Quelle:
DR