Zahl der Suizide in Charkiw nimmt laut Bischof zu

Trauer und Perspektivlosigkeit

Die Menschen in der Region Charkiw erleben derzeit einen Albtraum: ständige Bedrohung durch Raketenbeschuss, geschlossene Schulen und Kindergärten. Die Zahl der Selbsttötungen nehme zu, berichtet ein Bischof. Es fehle an Psychologen.

Außenansicht einer zerstörten Schule im Nordosten Charkiws / © Alex Chan Tsz Yuk (dpa)
Außenansicht einer zerstörten Schule im Nordosten Charkiws / © Alex Chan Tsz Yuk ( dpa )

In der Ukraine nimmt die Zahl der Suizide in den umkämpften Gebieten zu. "Es gibt viele Selbsttötungen, weil die Menschen nicht wissen, wie es weitergeht. Der Luftalarm in Charkiw geht fast rund um die Uhr", sagte der römisch-katholische Bischof der ostukrainischen Stadt Charkiw, Pawlo Hontscharuk, bei einem Besuch in der internationalen Zentrale des Hilfswerks "Kirche in Not" (ACN) in Königstein im Taunus.

Bischof Pavlo Honcharuk besucht mit dem orthodoxen Bischof Mytrofan einen Verwundeten (KiN)
Bischof Pavlo Honcharuk besucht mit dem orthodoxen Bischof Mytrofan einen Verwundeten / ( KiN )

Von Russland aus abgefeuerte Raketen würden nach nicht einmal einer Minute in Charkiw einschlagen; das reiche nicht mehr aus, um den Luftalarm in Gang zu setzen, so der Bischof nach Darstellung des Hilfswerks vom Montag. In der zweitgrößten Stadt der Ukraine seien Schulen und Kindergärten geschlossen; Unterricht finde bisweilen in U-Bahn-Stationen statt.

Menschen brauchen psychologische Hilfe

Charkiw liegt nur etwa 30 Kilometer von der russischen Grenze entfernt. Wie der Bischof berichtete, ist sein Diözesangebiet, das eines der größten in Europa und mehr als halb so groß wie Deutschland ist, zu einem Viertel besetzt. Dort könnten auch keine Priester mehr eingesetzt werden. Deren Präsenz habe jedoch für die Bevölkerung eine große Bedeutung: "Die Menschen sagen: Wenn ein Priester da ist, dann kann ich auch bleiben." Die Einsamkeit sei schwer zu ertragen - vor allem, wenn man einen geliebten Menschen verloren habe.

Zerstörung in der ukrainischen Stadt Charkiw / © Andrew Marienko (dpa)
Zerstörung in der ukrainischen Stadt Charkiw / © Andrew Marienko ( dpa )

Immer wichtiger werde deshalb neben der humanitären auch die psychologische Hilfe für die Bevölkerung, so der Bischof. Viele Menschen vertrauten keinen Psychologen, und es gebe auch zu wenige davon. "Wir haben wenige Spezialisten und Fachleute, und das ist ein Problem." "Kirche in Not" unterstützt nach eigener Darstellung psychologische Schulungen für Priester, Ordensleute und weitere Helfer.

Lebensgefährlich, aber wichtig sei der Einsatz von 46 Militärkaplänen, die oft die einzigen Ansprechpartner für die Frontsoldaten seien, sagte Hontscharuk: "Was diese Menschen in ihrer Seele erleben, ist ein Alptraum. Deshalb ist ein Militärkaplan so wichtig. Er hört sich das an, was die Menschen auf der Seele haben."

Christliche Kirchen in der Ukraine

Die kirchlichen Verhältnisse in der Ukraine sind komplex. Rund 70 Prozent der 45 Millionen Ukrainer bekennen sich zum orthodoxen Christentum. Sie gehören allerdings zwei verschiedenen Kirchen an: der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche (UOK) des Moskauer Patriarchats und der autokephalen (eigenständigen) Orthodoxen Kirche der Ukraine (OKU). Zudem gibt es eine römisch-katholische Minderheit mit rund einer Million Mitgliedern sowie die mit Rom verbundene (unierte) griechisch-katholische Kirche der Ukraine.

Das Heilige Feuer aus Jerusalem am 18. April 2020 im Kiewer Höhlenkloster Petscherska Lawra, Hauptsitz der ukrainisch-orthodoxen Kirche Moskauer Patriarchats. / © Sergey Korovayny (KNA)
Das Heilige Feuer aus Jerusalem am 18. April 2020 im Kiewer Höhlenkloster Petscherska Lawra, Hauptsitz der ukrainisch-orthodoxen Kirche Moskauer Patriarchats. / © Sergey Korovayny ( KNA )


 

Quelle:
KNA