Zehnte Fan-Andacht des 1. FC Köln zieht tausende Besucher an

"Von Jesu Mannschaft inspirieren lassen"

Abstieg, Trainerwechsel, Transfersperre. Die letzten Monate waren hart für den 1. FC Köln. Himmlischer Beistand kann da nicht schaden. Seit Jahren führt für viele Fans der Weg zum ersten Heimspiel der Saison über den Kölner Dom.

Autor/in:
Beatrice Tomasetti
Ökumenischen Andacht im Kölner Dom 2024 / © Bearice Tomasetti (DR)
Ökumenischen Andacht im Kölner Dom 2024 / © Bearice Tomasetti ( DR )

Am Ende hört es sich an wie ein vorweggenommener Sieg. Kaum ist die von George Warren an der Orgel intonierte FC-Hymne verklungen, werden auch schon die vielen Schals durch die Luft gewirbelt. Wie in jedem Jahr. Das ist bereits Ritual. Und die Vorfreude darauf, dass der Anpfiff zum Saisonauftakt am Abend im Müngersdorfer Stadion unmittelbar bevorsteht, es hier mit dem Aufeinandertreffen zweier Traditionsclubs vor 50.000 Zuschauern geradezu einen Klassiker geben wird – wenn in diesem Jahr auch nur in der zweiten Liga – entlädt sich in einem fröhlichen Grölen, als gäbe es in der Fan-Kurve bereits die ersehnte Führung zu bejubeln. "Mir stonn zo dir, FC Kölle", dröhnt es voller Begeisterung in den altehrwürdigen Mauern. Da hält es niemanden mehr in den Bänken.

Gefühlt hat die Andacht so lange wie eine erste Halbzeit gedauert. Und auch inhaltlich hatte sie bei ihrer zehnten Auflage einiges zu bieten, das mit der üblichen Spannung auf dem Spielfeld durchaus mithalten kann. Ganz abgesehen von der ausgelassenen Stimmung, die ebenfalls kaum zu toppen ist. Schließlich versammeln sich Jahr für Jahr mehrere tausend "Effzeh"-Fans vor dem Anpfiff des ersten Köln-Heimspiels zum gemeinsamen Gebet im Kölner Dom und tauchen sein Inneres in ein optisches Meer aus "rut-wiess".

Den lieben Gott gnädig stimmen?

Dass der liebe Gott dann zugunsten der Kölner bei der Torbilanz für Rückenwind und den erhofften Aufstieg sorgen möge, spielt zwar bei den Beweggründen für eine Teilnahme an dieser ökumenischen Feier sicher mit. Die meisten Gottesdienstbesucher aber – das kommt immer wieder zum Ausdruck – wünschen sich faire Spiele, Toleranz gegenüber dem sportlichen Gegner und ein friedliches Miteinander ohne Randale. Und das ist dann auch die zentrale Botschaft, die Stadt- und Domdechant Robert Kleine sowie die Kölner Pfarrerin Kerstin Herrenbrück in den Vordergrund stellen.

Thomas Kleine ist mit seinem Sohn Simon, der zuhause in Hamm Messdiener ist und im Dom schon mal sonntags vorne als Gast mit dabei sein durfte, eigens aus dem Westerwald angereist. Diese liturgische Einstimmung endlich live mitzuerleben – das war immer schon sein Traum. "Wir haben auch zwei Kerzen aufgestellt und tippen auf ein 2:0", lacht der 53-Jährige. Ob er den lieben Gott damit gnädig stimmen will? "Nicht wirklich, kann aber ja auch nicht schaden. Echte Vereinstreue macht sich nicht daran fest, ob die Mannschaft ganz oben mitmischt oder nur auf Regionalebene spielt."

"Fan ist man ohne Wenn und Aber", pflichtet Banknachbar Heiko Schüler bei. "Daran ändern auch Niederlagen nichts." Er konnte für die Partie keine Karte mehr bekommen, will daher wenigstens das "Jeföhl" im Dom mitnehmen. "Gänsehaut pur" verspricht er sich davon. Was hier passiere, sei einfach genial. "Keine Stadt ist so verrückt wie Köln, wo alles zusammengehört: der Dom, der Rhein und der FC. Das ist alles eins: unbeschreiblich und einzigartig." Allein schon der Gedanke an diese emotionale Gemengelage treibe ihm Tränen in die Augen, zeigt sich der Dombesucher überwältigt.

Seit über 40 Jahren FC-Anhänger

Mit Superlativen sparen auch Alex und Claudia Wickel aus Dillenburg nicht, die mit ihrer 13-jährigen Tochter Thalia schon weit vor Gottesdienstbeginn einen Platz in den vorderen Bankreihen ergattern konnten und sichtlich mit Stolz das typische Vereinstrikot tragen. Seit über 40 Jahren seien sie Anhänger des FC – quasi von Geburt an – und bei diesem Gottesdienst zum zweiten Mal mit dabei. "Grandios", so fällt auch ihr Urteil aus.

Schon der Dom an sich sei ein Erlebnis. Aber letztlich habe es ihnen die Gesamtatmosphäre dieser Feier angetan: das Zusammengehörigkeitsgefühl, die Ansprachen, die Musik und diese spirituellen Impulse in Verbindung mit den vielen Menschen. "Trainer Baumgart wünsche ich nur das Beste, allerdings nicht für heute", schiebt Alex Wickel augenzwinkernd noch hinterher. Klar tippe er auf einen Sieg der Kölner unter neuer Führung. Trotzdem bleibe er beim Thema Aufstiegschancen doch eher Realist.

Dr. Werner Wolf

"Der Dom ist ja voller als zu Heiligabend und diese Stimmung sehr berührend. Besser geht’s nicht."

Eine zweieinhalbstündige Autofahrt aus Herford haben auch Stefan Saalmann und Sohn Elija, der im Rollstuhl sitzt, später im Stadion, aber auch schon im Dom einen Platz in der ersten Reihe hat und damit an allem ganz schön nah dran ist, für dieses besondere Event auf sich genommen. "Diesmal passte es gut mit den Schulferien", erklärt Vater Saalmann, dem der ökumenische Aspekt dieser Feier besonders gefällt und dass sich die Kirche auf diese Weise weltoffen zeige. "Schließlich ist es ganz nebenbei eine Chance, den FC-Fans bei dieser Gelegenheit den Glauben und Texte aus der Bibel näher zu bringen", findet er.

Selbst Vereinspräsident Werner Wolf, der an diesem Tag seinen 68. Geburtstag feiert und keinen Saisonstart im Dom verpasst, gerät ins Schwärmen: "Der Dom ist ja voller als zu Heiligabend und diese Stimmung sehr berührend. Besser geht’s nicht." Als gläubiger Christ gehöre die Teilnahme an dieser Andacht, die für einen friedlichen Auftakt stehe, selbstverständlich für ihn dazu. Später formuliert er das in einer Fürbitte so: "Für die Spieler aller Mannschaften und aller Ligen: Lass sie beitragen zu spannenden und fairen Spielen. Schenke ihnen Freude am Sieg, aber auch Gelassenheit in der Niederlage!"

Drei Punkte gegen den HSV?!

Wir sind Konkurrenten und Gegner, keine Feinde – dieses Mantra zieht sich auch sonst wie ein roter Faden durch den Gottesdienst. Pfarrerin Herrenbrück spricht von Teamgeist, Vertrauen und Geduld, die als Schlüsselworte für Christinnen und Christen, für die Fans, Vereinsführung und Mannschaften nicht wegzudenken seien, ziele man auf eine erfolgreiche Saison ab. "Ob die Belohnung dann der Aufstieg sein wird – wer weiß! Ob es heute Abend drei Punkte gegen den HSV werden – das wäre schön! Ob es uns im Winter einen Top-Transfer landen lässt? Wir werden sehen!"

Doch eins sei sicher, fügt die evangelische Seelsorgerin hinzu: "Die Verbundenheit der Menschen im und mit dem 1. FC Köln, die Werte, die unser Verein verkörpert, das soziale Engagement, mit den Mannschaften und Vorstand den Menschen in all ihrer Vielfalt begegnen – all das erlebe ich als mindestens herausragend. Und wenn es vielleicht nicht einzigartig ist, dann ist und bleibt das in jedem Fall erstklassig."

Kerstin Herrenbrück

"Gottes Segen lässt uns stark sein, für unsere Werte einzustehen: Zusammenhalt, Fairness, Toleranz, Respekt – auf dem Spielfeld, in den Stadien, auf den Straßen, in den Städten, in unserem Land."

Letztlich sei das eine Belohnung, die deutlich mehr wiege als jeder Punktestand. Dazu gehöre auch die Verheißung, von Gottes Segen, der durch das Leben im Hier und Jetzt trage, umgeben zu sein. "Das lässt uns stark sein", appelliert die Theologin an die vielen Zuhörerinnen und Zuhörer im Dom, "für unsere Werte einzustehen: Zusammenhalt, Fairness, Toleranz, Respekt – auf dem Spielfeld, in den Stadien, auf den Straßen, in den Städten, in unserem Land."

Dass es nicht wirklich darum geht, den Himmel zugunsten der eigenen Mannschaft zu bestürmen, macht auch Domseelsorger Kleine klar, der in seiner Ansprache den Gemeinschaftsaspekt und das große gemeinsame Ziel ins Zentrum rückt. Auch Jesus sei es darum gegangen, mit der Berufung seiner Jünger eine Mannschaft zu bilden, auf Teamgeist und Zusammenhalt der unterschiedlichsten Typen zu setzen: mit ihren Stärken und Schwächen, Talenten und Defiziten, Erfolgen und Niederlagen, kleinen Eitelkeiten und großen Träumen – um Großes zu erreichen.

"Ein Fest der Gefühle"

"Da ist Petrus, der die Sprecherrolle übernimmt, quasi der Kapitän. Mancher der Jünger entwickelt sich zum Stürmer, andere bleiben im Hintergrund, aber immer bereit, einen Angriff auf Jesus abzuwehren. Es gibt die, die viel reden, und manche, die gar nicht viele Worte machen, sondern einfach ihr Ding, wenn’s nötig ist." Mitunter strotzten die Zwölf vor Selbstvertrauen, dann wiederum seien sie mutlos und niedergeschlagen. "Es gibt Hitzköpfe und die, die immer noch eine Frage haben, um ganz sicher zu gehen."

Darüber hinaus stellt Kleine fest: "Jedes Fußballspiel ist ein Fest der Gefühle." Denn die runde Kugel bewege nicht nur die 22 Akteure auf dem grünen Rasen, sondern auch die Zuschauerherzen. "Da werden 'Helden in den Himmel gehoben' und andere als 'Versager verdammt', Rituale und Symbole werden gepflegt, es wird viel über Gerechtigkeit, Zufall und Glück diskutiert, Tränen der Freude oder der Enttäuschung fließen – selbst vom Fußballgott ist die Rede."

Robert Kleine

"Das Spiel unterbricht die Zeit, lässt uns Stress und soziale Schranken vergessen. Sport und Fußball verbinden: alt und jung, über Kulturgrenzen und Sprachbarrieren hinaus."

Dabei müssten Fußballer nach bitteren Niederlagen die Kraft zum Weitermachen finden, Sieg und Niederlage lägen oft dicht beieinander. Der Seelsorger betont, dass Sport allgemein und der Fußball speziell einen wertvollen Beitrag zu einem zufriedenen, sinnerfüllten Leben leisten könnten. "Das Spiel unterbricht die Zeit, lässt uns Stress und soziale Schranken vergessen. Sport und Fußball verbinden: alt und jung, über Kulturgrenzen und Sprachbarrieren hinaus."

Noch zuletzt sei das bei der Europameisterschaft zu erleben gewesen, erinnert Kleine an die Sympathiepunkte, die die Schotten mit ihrem Auftreten in Köln gesammelt hatten, gleichzeitig warnt er vor Konkurrenz, Respektlosigkeit und Gewalt: "Solange wir nur die Gemeinschaft zu den Gleichgesinnten suchen und die anderen nur als Gegner sehen, die wir auf dem Spielfeld besiegen wollen, sind die Fußballspiele bitterer Ernst. Wenn wir uns aber von Jesu und seiner Mannschaft inspirieren lassen, werden wir auch die friedvolle und freundschaftliche Begegnung mit den Menschen, die andere Teams anfeuern, suchen." 

Fußball habe das Potential, ein Fest der Begegnung zu sein, und eine Gelegenheit, ein intensives Gemeinschaftsgefühl zu entwickeln. Und dann zitiert er abschließend aus der FC-Hymne den Text, der jedes Kölner Fußballherz höher schlagen lässt: "Ov jung oder alt – ov ärm oder rich, zesamme simmer stark FC Kölle, durch dick un durch dünn – janz ejal wohin, nur zesamme simmer stark FC Kölle."

Quelle:
DR