DOMRADIO.DE: Ihr Orden ist nicht gerade locker, andere würden streng sagen. Sind das überhaupt Dimensionen, in denen Sie denken?

Abt Maximilian Heim (68. Abt des Stiftes Heiligenkreuz, Abtpräses der Österreichischen Zisterzienserkongregation): Eigentlich nicht. Wir denken mehr daran, dass wir authentisch sein wollen und versuchen, das Evangelium zu leben. Weil der Heilige Benedikt, nach dessen Regeln wir ja leben, gesagt hat, dass das Evangelium die höchste Norm ist, die uns gegeben ist.
DOMRADIO.DE: Wie unterscheidet sich denn Ihr Alltag von meinem?
Heim: Ich glaube schon, dass sich unser Leben ein wenig unterscheidet, weil wir das Privileg haben, zu festen Zeiten zu beten. Das würde ich, wenn ich mitten in der Welt leben würde, nicht in dieser Regelmäßigkeit tun. Das war sicher auch ein Grund, warum ich ins Kloster gegangen bin. Weil ich mich vielleicht vor meiner Gemeinschaft oder vor den Mitbrüdern mehr schäme als vor dem lieben Gott, wenn ich in der Früh verschlafe.
DOMRADIO.DE: Man könnte sagen, dass Ihr Leben ein anderer Entwurf zu dem ist, was wir in der Welt haben. Damit sind Sie erfolgreich: Ihr Kloster besteht seit knapp 1000 Jahren und Sie haben fast 100 Brüder. Warum werden gerade in der heutigen Zeit die Menschen so angezogen?
Heim: Ich glaube, wir sind ein Kloster, das sich durch eine große Kontinuität auszeichnet. In einer Zeit der Diskontinuität ist das vielleicht eine wichtige Antwort. Wir bieten hier eine Möglichkeit zu sagen, dass wir zu unserer Geschichte und zu unserer Zukunft stehen. Das heißt, wir haben eine klare Orientierung. Und diese Orientierung ist das Evangelium, ist das Kreuz Jesu Christi.

Und auch das, was schon vor uns gelebt wurde und von dem wir wissen, dass wir nicht diejenigen sind, die das alles neu erfinden. Wir können uns darüber freuen, in einer Gemeinschaft zu leben, die nicht nur aus den Brüdern im Hier und Jetzt besteht, sondern auch aus denen, die uns schon im Glauben vorausgegangen sind. Und wir hoffen auch, dass noch weitere zu uns kommen.
DOMRADIO.DE: Sie bezeichnen das als Privileg. Spielt denn das, was außerhalb des Klosters passiert - beispielsweise in der Politik - für Sie gar keine Rolle?
Heim: Wir haben das sehr deutlich im Blick, weil wir ja nicht aus der Welt, sondern mitten in der Welt sind. Jedes Kloster ist ein Kloster in der Welt und in jedem Kloster gibt es auch genug Welt. Man darf es sich nicht wie eine Insel der Seligen vorstellen. Wir sind Menschen dieser Welt, dieser Generation. Wir haben unsere Vorteile, aber auch unsere Lasten, die wir aus unserer Welt mitbringen.
DOMRADIO.DE: Ihr Kloster Heiligenkreuz liegt im Wienerwald in Österreich. Man kann sich vorstellen, dass dort das monastische Leben relativ gut gelebt werden kann. Sie kennen aber auch das Kloster Stiepel in Bochum sehr gut, weil Sie es mitbegründet haben und dort Prior waren. Ist es etwas anderes, so mitten in der Hektik des Ruhrgebiets zu leben?
Heim: Jedes Kloster hat seine eigene Form, möchte ich sagen, und ist inkulturiert in die jeweilige Kultur. Man kann ein Kloster nicht einfach schablonenhaft gründen oder es irgendwie einpflanzen, sondern es muss in die Kultur hineinwachsen. Eine Inkulturierung ist wichtig.
Ich habe das damals im Ruhrgebiet sehr deutlich gemerkt, wie man klösterliches Leben auch heute in die Kultur dieser Zeit einpflanzen kann. Für mich war die Zeit als Leiter dort eine wichtige Erfahrung im Hinblick auf die Frage: Wie kann man heute Leitung wahrnehmen, ohne dass es eine Tyrannei wird? Es muss ein Weg des Dialogs und des Aufeinander-Hörens sein. Es ist ganz wichtig, und auch Papst Franziskus sagt uns das oft, dass man neue Erfahrungen macht.
DOMRADIO.DE: Auch Neuzelle in Brandenburg ist aus Ihrer Gemeinschaft entstanden. Seit zehn Jahren befindet sich das Kloster im Aufbau. In dieser Region haben die Menschen gar keine Berührungspunkte mehr zum Glauben. Wie reagieren die Menschen auf Sie als Zisterzienserbrüder?
Heim: Uns wurde damals gesagt, das sei angeblich die gottloseste Gegend. Ich sage wirklich angeblich, weil ich glaube, dass Gott in jedem Menschen einen Anker hat, der nicht einfach ignoriert werden kann.
Ich erzähle Ihnen von einem kleinen Dialog, den ein Mitbruder geführt hat. Damals war noch nicht endgültig entschieden, ob wir dort bleiben und in den alten Mauern neu gründen sollen, weil wir vorhandene Institutionen nicht verdrängen wollten. Und dann sagte jemand zu einem Mitbruder: "Es ist so gut, dass ihr da seid." Der Mitbruder sagte: "Dann beten Sie doch dafür." "Das kann ich nicht", hat derjenige geantwortet. "Aber ich freue mich dennoch. Ich bin zwar Atheist, aber ich bin glücklich darüber, dass Sie hier sind." Das war wirklich eine Atmosphäre, die uns auch bewogen hat, ganz bescheiden neu anzufangen. Auch wenn der ursprüngliche Plan, im alten Neuzelle neue Wurzeln zu schlagen, nicht funktioniert hat.
Wir haben jetzt in einem alten Bauernhof in kurzer Entfernung von Neuzelle angefangen und es ist, glaube ich, ganz gut, dass die Leute merken, dass wir uns nicht ins gemachte Nest setzen, sondern bereit sind, unseren Auftrag zu erfüllen und dort wirklich ora, lege et labora zu leben.
DOMRADIO.DE: Jetzt haben wir über drei sehr unterschiedliche Orte und Arten gesprochen, monastisches Leben zu führen. Sie sind für einen Vortragsbesuch in Köln, auf Einladung der Initiative "Neuer Anfang" an der Kölner Hochschule für Katholische Theologie. Da sprechen Sie über den Neuanfang, den die Kirche finden muss. Wie denken Sie gelingt das in so einer Zeit?
Heim: Ich glaube es ist ganz wichtig, dass man in dieser Zeit auch ein ökumenisches Denken hat. Das heißt, man muss ein Mensch sein, der wirklich den Auftrag Jesu - dass alle eins und unum sind - lebt. Mich hat es sehr beeindruckt, als ich im vergangenen Jahr an einem Ort der Trappistinnen war. Die Trappistin Maria Gabriela Sagheddu hat Gott ihr Leben für die Einheit geschenkt. Diese einfache Trappistin, die erst 25 Jahre alt war, hat tatsächlich ihr ganzes Leben dem Heim geschenkt. Gott hat ihr Leben angenommen und sie wurde nach einer schweren Krankheit von ihm abberufen und ist zu einer Patronin der Mission der Einheit geworden.
Das ist mir persönlich so nahe gegangen, dass ich mir gesagt habe, wir müssen in der heutigen Zeit nicht auf Spaltung hin leben, sondern auf Einheit. Die Menschen brauchen im Letzten Harmonie, die ihnen eine Möglichkeit gibt, mit Gott und auch mit den Menschen in Verbindung zu treten. Auch wenn unser monastisches Leben oft auf den Einzelnen hin "gedrillt" ist - wenn man das so sagen könnte, obwohl ich im Kloster keinen Drill kenne - denn der Monachus ist auch der Einzelne und der Einsame. Aber er ist nicht einsam, damit er für sich ist - sondern damit er mit Gott und auch mit den anderen verbunden ist.
Ich glaube, es ist wichtig, dass man diese Verbundenheit mit den anderen Menschen mitten in dieser Welt leben muss und dass es Orte geben muss, Oasen, wo Menschen das spüren.
Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.