Es gab eine Zeit, da häufte der Münchner Kardinal Reinhard Marx ein wichtiges Amt aufs andere an: Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz war er (2014-2020), Chef der EU-Bischofskommission Comece (2012-2018) und als Mitglied im Kardinalsrat einer der engsten Berater von Papst Franziskus (2013-2023). Alles vorbei.
Geblieben ist dem Westfalen der Bischofsstuhl in München - aber nur, weil sein Rücktrittsgesuch in Rom vor zwei Jahren auf taube Ohren stieß. Am 21. September wird der Erzbischof 70. Damit steht die Frage im Raum, was von ihm noch zu erwarten ist.
"Packt er Reformen an?"
"Wo der Geist des Herrn wirkt, da ist Freiheit", lautet sein Bischofswahlspruch. Marx hat über Freiheit sein Leben lang nachgedacht; vor drei Jahren legte er dazu ein Buch vor. Nachdem ihn der Papst im Bischofsamt beließ, sei er doch freier als je zuvor, dachten viele 2021. Was macht er seither daraus?
An der Spitze der Bischofskonferenz hat Marx das Reformprojekt Synodaler Weg in Deutschland auf den Weg gebracht. Aus dem Vatikan wurde es mit Prügeln bedacht; doch eine öffentliche Gegenwehr von ihm als einem der Erfinder ist nicht überliefert. Beim Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK), dem Partner im Synodalen Weg, war Marx nicht zu sehen, als sich dieses im Mai vor den Toren Münchens vollversammelte. Man fühle sich von ihm trotzdem weiter unterstützt, hieß es salomonisch.
Und in seinem Erzbistum? Packt er dort jetzt die in Aussicht gestellten Reformen an? Noch am ehesten freuen dürften sich diejenigen Katholiken, die traditionellen Geschlechtsrollen nicht entsprechen. Zum 20-jährigen Bestehen des Münchner Queer-Gottesdienstes kam Marx im März 2022 in die Kirche Sankt Paul unweit der Theresienwiese; auf den Altarstufen lag eine Regenbogenfahne.
In seiner Predigt bat der Kardinal um Entschuldigung für die Diskriminierung Homosexueller und versprach, das Seine zu tun, "dass wir eine inklusive Kirche werden". Ein halbes Jahr später richtete er eine Projektstelle "Regenbogenpastoral" ein und besetzte sie mit einem schwulen Theologen.
Vergebungsbitten zu mehreren Themen
Zuletzt haben sich solche Vergebungsbitten aus Marx' Mund gehäuft, durchaus in delikaten Zusammenhängen. Das gilt nicht nur für das Missbrauchsgutachten der Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl vom Januar 2022. Da fiel seine Reaktion indes wesentlich abstrakter aus als die seines Vorgängers, Kardinal Friedrich Wetter. Dieser benannte persönliches Versagen in einem verheerenden Fall sehr konkret.
Nur zwei Wochen später bezeichnete Marx ein "öffentliches Schuldbekenntnis" der katholischen Kirche als fällig, weil sie in der Nazi-Zeit Sinti und Roma den Schutz vor Verfolgung versagt habe. Schon oft hat deren Zentralratsvorsitzender Romani Rose erzählt, wie sein Vater 1943 versucht hatte, bei Kardinal Michael von Faulhaber in München vorzusprechen wegen der drohenden Deportationen seiner Ethnie. Faulhaber ließ den Bittsteller abwimmeln. Marx sagte in Anwesenheit Roses, als Faulhabers Nachfolger sehe er sich in einer besonderen Verantwortung, diese Vorkommnisse aufzuarbeiten.
Im Sommer 2023 empfing der Erzbischof in seinem Palais eine Delegation aus dem italienischen Abruzzendorf Filetto. Dort hatte die Wehrmacht unter dem Kommando von Matthias Defregger 1944 ein Massaker verübt. Defregger machte nach dem Krieg Karriere in der Kirche und stieg unter dem Münchner Kardinal Julius Döpfner bis zum Weihbischof auf. Marx bat seine Gäste nicht nur stellvertretend für Defregger um Verzeihung, was dieser zu Lebzeiten nicht vermocht hatte; er kritisierte auch Döpfners Umgang mit dem Kriegsverbrechen als unzulänglich.
Kritik an Amtszeit in Trier
Dies alles sind respektable Gesten. Doch spätestens, wenn im Bistum Trier die öffentliche Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs das nächste Stadium erreicht und dabei auch die Amtszeit von Bischof Marx (2001-2008) beleuchtet, wird es mit einer allgemeinen Reuebekundung nicht getan sein.
Anfang Juni warf den 69-Jährigen ein Dienstunfall aus der Bahn. Marx brach sich eine Schulter, musste operiert werden und fiel mehrere Wochen aus. Nach seiner Rückkehr dankte er im Radio allen, "die mir geholfen haben, mich angesehen haben und für mich da waren". Es sei nicht immer leicht, "zu zeigen, dass man Hilfe braucht, weil etwas ganz Alltägliches wie Essen klein schneiden, anziehen, eine Tasche auspacken plötzlich nicht mehr so einfach geht". Da ist sich einer, der sonst so kraftstrotzend daherkam, seiner zunehmenden Hinfälligkeit bewusst geworden.