DOMRADIO.DE: Menschen werden geboren, Kardinäle werden kreiert. Was versteht man unter der Kreierung eines Kardinals?
Ulrich Nersinger (Vatikan-Experte): Da muss man einen Blick in die Geschichte werfen. Kardinäle werden als die Senatoren des Papstes begriffen. Wenn man in die Antike schaut, in die Zeit der römischen Kaiser, waren die Senatoren die engsten Mitarbeiter und Geschöpfe des Kaisers.
Ich sage ganz bewusst "Geschöpfe", weil sie nicht gewählt wurden, sondern kreiert. Das Wort kommt aus dem Lateinischen “creare“, zu deutsch: schöpfen. Diese Senatoren und später die Kardinäle wurden als "Kreaturen des Papstes" angesehen, die ganz eng nur an ihn gebunden sind und die alle Autorität und alles, was sie besitzen, von ihm empfangen - nicht durch eine Weihe, sondern durch einen Akt des Papstes.
Auch der heutige Begriff des Konsistoriums war zur Zeit der frühen Kaiser die Zusammenkunft des Imperators mit den Senatoren. Man hat diesen Begriff aus der Antike dann mit hinüber genommen in die Kirche.
DOMRADIO.DE: Diese Kardinäle unterstützen also wahrscheinlich den Kurs von Franziskus. Als engste Berater des Papstes wählen sie auch den Nachfolger von Papst Franziskus. Wie wichtig sind die Kardinäle für den Alltag der Kirche, das heißt, wenn nicht gerade ein neuer Papst gewählt wird?
Nersinger: Wenn sie sich wirklich mit dem Papst und der Kirche verbunden fühlen, kommt ihnen eine große Bedeutung zu, weil sie das Pontifikat des Papstes mittragen und fördern. Von daher sind diese Kardinäle auch für den Papst sehr wichtig, weil sie wie sein Alter Ego sind, sein anderes Ich.
DOMRADIO.DE: Und wie sehr bestimmen sie den Kurs, der nach Papst Franziskus kommt?
Nersinger: Das ist eine sehr schwierige Frage. Ich würde es nicht wagen, hier eine Prognose zu treffen, weil die Geschichte immer wieder gezeigt hat, dass die Kardinäle bei einer Konklave unter Umständen anders entscheiden als im Sinne des Papstes.
Sie sind, wenn die Wahl eines neuen Papstes ansteht, sehr frei und müssen sich nicht nur den Ideen und den Vorstellungen des Papstes - ihres "Schöpfers" auf Erden - anschließen, sondern vor allem ihrem himmlischen Schöpfer und ihrem Gewissen folgen. Sie können unter Umständen einen Nachfolger wählen, der nicht ganz im Sinne des ehemaligen Papstes war.
Das Interview führte Silvia Ochlast.
Dieses Interview wurde erstmals am 28.06.2017 bei DOMRADIO.DE veröffentlicht.