domradio.de: Das waren deutliche Worte, die Sie da am Samstag gewählt haben. Sie sind selbst Priester. Hat Sie das schockierende Ausmaß des Missbrauchs und der Misshandlungen auch von Amtskollegen überrascht?
Pfarrer Wolfgang Beck (Professor für Pastoraltheologie an der katholischen Hochschule in Sankt Georgen): Nein, man muss auch sagen, dass man als katholischer Christ schon einiges in den letzten Jahren gewohnt ist. Der Aufarbeitungsprozess in Regensburg dauert auch schon einige Jahre an, sodass klar war, dass der Bericht sicherlich vieles enthalten würde, was noch mal für Erschrecken sorgt. Was dann aber auch wichtig ist, sind zwei unterschiedliche Ebenen: Das eine ist die Aufarbeitung, die geleistet werden muss und dass man sich um die Opfer kümmert. Der Regensburger Bischof hat mit einem Hirtenwort am Sonntag ganz gut reagiert. Die zweite Ebene ist dann, zu sagen, dass wir in den letzten Jahren immer wieder ähnliche Situationen hatten, in denen Dinge ans Licht gekommen sind. Und wir müssen uns fragen, welche Strukturen gibt es überhaupt in der katholischen Kirche, die auch dafür mit verantwortlich sind, dass hier offensichtlich Täter angezogen werden oder zumindest ein ideales Feld für ihre Taten geschaffen wurde. Ich glaube, da gibt es strukturelle Komponenten, die bislang noch nicht ausreichend beleuchtet werden.
domradio.de: Es sind also die Strukturen klerikaler Macht und Intransparenz, die dieses Ausmaß an Missbrauch möglich gemacht haben. Gibt es diese Strukturen denn immer noch? Die Geschehnisse in Regensburg liegen immerhin 25 Jahre zurück.
Beck: Ja, ich würde behaupten, dass es sie noch gibt. Natürlich hat sich in den vergangenen 25 Jahren viel verändert, wäre auch komisch, wenn nicht. Es gibt sowohl in der Präventionsarbeit für Gewalt und Missbrauch große Fortschritte. Das muss man positiv würdigen. Aber an den strukturellen Abläufen, die es innerhalb der katholischen Kirche gibt, hat sich nicht viel verändert. Da gibt es nach wie vor eine ganz große Intransparenz, einen großen Klerikalismus, der sich auch jeder Kontrolle weitestgehend entzieht oder zumindest nur soweit zulässt, wie er unabdingbar ist. Die katholische Kirche ist da so ein bisschen die Getriebene aufgrund dessen, was sich so in öffentlichen Diskursen ereignet. Da denke ich, ist die Kirche darauf angewiesen, auf Trab gehalten zu werden oder gebracht zu werden durch eine Öffentlichkeit, die ganz klar sagt: Manches akzeptieren wir so einfach nicht. Und das gehört nicht zu den Bereichen, in denen die Kirche sagen kann: das regeln wir eben anders und nach unserem Gusto. Sondern es gibt ein gesellschaftliches und öffentliches Interesse daran, dass manche Themen in der Kirche bearbeitet werden.
domradio.de: Besonders warnen Sie auch davor, jetzt zu relativieren. Sie warnen davor, dass Vertreter der Kirche jetzt sagen, damals sei Prügelstrafe eben Gang und Gäbe gewesen. Und der sexuelle Missbrauch, das seien nur Einzelfälle gewesen. Solche Stimmen, die es jetzt ja gibt, halten Sie nicht für unangebracht, sondern gar für gefährlich – warum?
Beck: Weil die natürlich strategisch ausgerichtet sind und alles versuchen, um diese zweite Ebene, diese eher tiefergehende Ebene der Bearbeitung kirchlicher Strukturen zu vermeiden. Es ist also eine Beschwichtigung, die die Problematik auf den Einzelfall reduziert, auf ein Agieren mit den Opfern. Das ist alles richtig und gut, nur darf das nicht dazu führen, dass die eigentlichen Reformen nicht angegangen werden. Diese Abschwächungsstrategie würde ich bei einigen Statements dann doch schnell identifizieren wollen.
domradio.de: Sie sagen auch, dass die Missbrauchsskandale eine Chance für die katholische Kirche sein können. Worin besteht diese Chance?
Beck: Die Chance bestünde darin, sich ehrlich und transparent mancher Feldern der eigenen Strukturen zu widmen, bei denen man sagen muss: Das ist ein Feld, da sind wir einfach vormodert. Da sind wir noch nicht so aufgestellt, wie das in unserer modernen Gesellschaft Standard ist und selbstverständlich sein müsste." Was zum Beispiel Fragen der Mitbestimmung angeht, oder was Transparenz und Entscheidungsabläufe angehen, was auch Fragen der Gewaltenteilung angeht. Wir haben in der Art, wie bei uns in der Katholischen Kirche Bischofsämter verstanden werden noch ein monarchisches System. Das ist vielen gar nicht so bewusst. Aber wer in unserem Land katholsicher Bischof ist, der ist auch zugleich Gesetzgeber und damit eben auch jeder neutralen Kontrolle sehr weitgehend entzogen. Es gibt natürlich Ansätze, die in den letzten Jahren entstanden sind. Aber das sind auch nur Ansätze. Da muss man sagen: Die katholische Kirche ist noch nicht in der Moderne angekommen und da gilt es auch ein bisschen, ihr auf die Sprünge zu helfen.
domradio.de: Haben Sie denn Reaktionen auf ihre deutlichen Worte beim Wort zum Sonntag bekommen. Allen dürfte das nicht gefallen haben, was Sie da gesagt und angeprangert haben?
Beck: Also zum ganz überwiegenden Teil waren die Reaktionen positiv und ermutigend. Ich habe größtenteils die Rückmeldungen bekommen, in denen stand "Alle Achtung, darauf haben wir gewartet, dass das so ehrlich angesprochen wird." In diesen positiven und ermutigenden E-Mails kommt dann aber auch häufig zur Sprache, dass es mir nicht leicht ergehen wird und dass ich Gegenwind bekommen würde. Das sind Befürchtungen, die sicherlich nicht aus der Luft getroffen sind. Da werde ich mich vielleicht warm anziehen müssen.
domradio.de: Da ruft dann auch kein Bischof an und sagt: "Moment mal. Was kritisieren Sie da die klerikale Macht - das stimmt so nicht! Hören Sie auf das eigene Nest so zu beschmutzen?"
Beck: Bislang gibt es zwei Bistümer, die das Wort zum Sonntag auf ihrer Facebook-Präsenz geteilt haben, ein Bischof hat es auch geteilt. Von daher ist das schon mal ganz ermutigend, dass nicht blankes Entsetzen vorzuherrschen schient. Ich bin gespannt, was die weiteren Reaktionen ausfallen. Ich würde aber auch tippen, dass eher versucht wird, das auszusitzen und Stillschweigen zu bewahren, in der Hoffnung, dass auch Wolfgang Beck als Sprecher des Worts zum Sonntag sich wieder anderen Themen widmen wird.
Das Interview führte Hilde Regeniter.