Der Zentralrat der Armenier in Deutschland kritisierte die heutige Türkei, die es als Nachfolgestaat des Osmanischen Reiches vehement ablehne, dieses "ungeheuerliche staatliche Verbrechen" als Genozid anzuerkennen. "Die Türkei weigert sich, aus der eigenen Geschichte zu lernen", sagte der Vorstand des Zentralrats, Serge Derhagopian. Auch heute sei "die Gewaltbereitschaft der Türkei omnipräsent und andauernd".
Zwischen 1915 und 1918 wurden im damaligen Osmanischen Reich bis zu 1,5 Millionen christliche Armenier, Pontos-Griechen und andere Christen ermordet. Mittlerweile haben mehr als 20 Staaten das Geschehen als Genozid offiziell anerkannt, darunter Deutschland. Auch Papst Franziskus sprach vom "ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts".
Frankfurts Bürgermeister: Wahrheit anerkennen
Die Türkei spricht hingegen nur von Massenvertreibungen und von gewalttätigen Auseinandersetzungen im Zusammenhang mit dem Krieg. In seinem Grußwort nannte Frankfurts Bürgermeister und Kirchendezernent Uwe Becker (CDU) den Genozid an den Armeniern "eines der schrecklichsten Menschheitsverbrechen des vergangenen Jahrhunderts", und er fügte hinzu: "Ja, es war ein Völkermord." Nur wenn die Wahrheit anerkannt werde, könnten Wunden geschlossen werden.
"Man kann Geschichtsbücher umschreiben, aber man kann die Geschichte nicht umschreiben", sagte Becker unter großem Beifall. Er wünsche "der Türkei einen tatsächlich starken Präsidenten, einen Präsidenten, der stark genug ist, die Wahrheit auszusprechen", so der Frankfurter Bürgermeister. Europa sei gegenüber der Türkei "zu stumm".
Scharfe Kritik an Erdogan
In seiner Gedenkrede sagte der Direktor der Stiftung der Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau Dora, Volkhard Knigge, die Menschenfeindlichkeit, die sich im Holocaust und im Genozid an den Armeniern gezeigt habe, dürfe sich nie wiederholen. Der Völkermord an den Armeniern habe mit der "systematischen Ermordung" mehrerer hundert Intellektueller begonnen.
Auch Knigge übte scharfe Kritik am türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, der angekündigt habe, das Geschehen von 1915 erforschen zu lassen. Knigge: "Man muss nicht mehr darüber forschen, ob es sich um einen systematischen Völkermord gehandelt hat - das steht ja fest!"
Dienstag weltweiter Gedenktag
Armeniens Botschafter in Deutschland Ashot Smbatyan sagte, mit der Leugnung des Völkermords verstoße die Türkei gegen die Wertvorstellungen der europäischen Gemeinschaft. Europa müsse daran seinen Umgang mit der Türkei ausrichten. Die Gedenkveranstaltung in Frankfurt fand am Vorabend des 24. April statt, der als weltweiter Gedenktag für die Opfer des Genozids an den Armeniern im Osmanischen Reich gilt. An der Gedenkfeier in der Paulskirche nahmen mehrere hundert Menschen teil.