Die Züge von Heinz Brauner* entspannen sich zusehends. Er schließt die Augen und wird ganz ruhig. Auf seinem Bauch liegt eine Körpertambura, über deren Saiten Malu Grohs sachte mit ihren Fingerkuppen streicht. Sonst ist es still im Zimmer des Patienten und deutlich zu beobachten, wie wohltuend sich die Schwingungen dieses feinen Klangteppichs und die Vibration des konkaven Holzkorpus auf den Körper des Patienten auswirken, er in eine Tiefenentspannung findet und diese leichte Massage, die ihn durchströmt, sichtlich genießt.
Später, als der 61-Jährige nach einer Art Trancezustand die Augen wieder aufschlägt, kann er genau die Bilder beschreiben, die er sich wenige Momente zuvor noch ausgemalt hat: Ägypten beispielsweise, ein Sehnsuchts- und Kraftort für den Schwerstkranken, der Lungen- und Leberkrebs im Endstadium hat. Hier habe er immer wieder Urlaub gemacht, beim Schnorcheln tausende von Fischen unter der funkelnden Wasseroberfläche entdeckt, berichtet er und gibt seinem Phantasiebild dabei detailreiche Nuancen. Vor allem, als er von seinem kleinen Garten spricht und damit ein weiteres Bild skizziert, das soeben vor seinem geistigen Auge noch einmal lebendig geworden ist und frohe Erinnerungen in ihm auslöst. Als "absolutes Wohlgefühl" benennt er die Erfahrung mit diesem ungewöhnlichen Instrument, das er zum ersten Mal erlebt und dessen Wirkung ihn sehr berührt. "Es entsteht eine Art Schwerelosigkeit, wenn man sich darauf einlassen kann, und man wird angenehm müde", erklärt der Hospizpatient.
Klänge können trösten und Schmerzen lindern
Malu Grohs ist heilkundliche Psychotherapeutin und setzt bei ihrer Arbeit mit Schwerstkranken und Sterbenden im Hospiz gezielt Musik- und Kunsttherapie ein. "Musik ist als Medium für diese Arbeit besonders geeignet, da sie den Menschen in seinen tiefsten Schichten erreicht, eine Atmosphäre der Geborgenheit schafft und nonverbale Kommunikation ermöglicht", erklärt sie. Bei ihren Therapieeinheiten nutzt sie neben der Tambura auch andere ausgewählte Klang- und Rhythmusinstrumente wie Klangröhren oder Klangschalen, die ebenfalls in die Entspannung führen und von denen die Patienten enorm profitierten, wie die Gestalttherapeutin und Supervisorin erklärt. Diese Instrumente ließen sich besonders gut am Bett einsetzen und wirkten auf den Patienten beruhigend – wie eine Art Meditation.
"Gehirnstrommessungen haben ergeben, dass beim Hören der Klänge sehr schnell Alpha-Wellen entstehen, die das menschliche Gehirn in einen Zustand zwischen Wachen und Einschlafen versetzen", erläutert Grohs den wissenschaftlichen Hintergrund dazu. "Außerdem können Klänge trösten, Schmerzen lindern, von Krankheitssymptomen ablenken und beispielsweise Schlaflosigkeit positiv beeinflussen", ergänzt sie. Ängste und Trauer könnten sie ins Bewusstsein heben und so einer Verarbeitung zugänglich machen. "Auch Angehörige können an einer solchen Klangmeditation, die manche Patienten wie eine Streicheleinheit für die Seele empfinden, teilhaben", betont sie. Immer wieder gebe es die positive Rückmeldung von Patienten, die Klänge lenkten von Schmerzen ab und sorgten für große Entspannung. "Da diese Töne archaischen Charakter haben, knüpfen sie an Urerfahrungen im Mutterleib an und sorgen für Geborgenheit, Harmonie, Ausgeglichenheit und die Reaktivierung positiver Energien", schildert Malu Grohs Erfahrungen mit dieser Form der Musiktherapie.
Geeignet zur Behandlung von Angst- und Panikzuständen
In der Tat können sich Muskelverkrampfungen und alte Schmerzmuster auf diese Weise lösen. Sowohl Puls- als auch Atemfrequenz senken sich oft messbar. "Manche sehr erschöpften Patienten schlafen einfach beim Hören der Klänge ein und wachen umso erfrischter wieder auf", stellt Grohs fest. Imaginative Verfahren, wie das Anleiten von Phantasiereisen, könnten die Arbeit mit den Klängen unterstützen und intensivieren, zum Beispiel die gedankliche Vorstellung eines besonderen Kraftortes, wie die Therapeutin wohltuende Erinnerungsbilder im Kopf des Patienten, seine Träume und Seelenbilder nennt.
Die Arbeit mit den Klängen eigne sich sowohl für Menschen mit somatischen als auch psychosomatischen Beschwerden, für Patienten mit verminderter Körperwahrnehmung bis hin zur Gefühllosigkeit und Depressionen, zur Behandlung von Unruhe, Angst- und Panikzuständen. Sogar für Komapatienten. Da der Hör-Sinn meistens auch das letzte Sinnesorgan sei, das beim Sterben erlischt, könne Musik manchmal auch bis zum sprichwörtlich letzten Atemzug helfen, das Leben loszulassen, erklärt Malu Grohs. "Ich habe oft erlebt, dass Angehörige, die mit dem Sterbenden zusammen die Klänge erleben, von der entstehenden Atmosphäre so berührt werden, dass sie ihre Tränen zulassen können und auf diese Weise beim Abschiednehmen und Trauern Unterstützung finden."
Patient drückt Befindlichkeit nonverbal auf Instrument aus
Alle Instrumente – Körpertambura, Klangröhren, Klangschalen, Rhythmusinstrumente wie Trommeln, Schlaghölzer, Rasseln oder Schellen – kommen auch in der aktiven Musiktherapie zum Einsatz. Das heißt – anders als bei der passiven Behandlung – beteiligt sich der Patient selbst mit seinem Spiel, beispielsweise in der Gruppe des Tageshospizes, am gemeinsamen Musizieren. "Der Patient kann sich dann nonverbal auf verschiedenen Instrumenten ausdrücken, und es entstehen mitunter musikalische Dialoge – eine wertvolle Möglichkeit für eingeschränkt kommunikationsfähige Patienten", berichtet die Hospiz-Mitarbeiterin.
"Auf diese Weise finden Kranke oft einen Weg zum Ausdruck ihrer momentanen Befindlichkeiten." Durch die Klangarbeit werde nicht nur das Hören, sondern das Lauschen angeregt – so definiert Grohs in diesem besonderen Fall die Aufnahmefähigkeit des Patienten als einen Prozess, bei dem die Aufmerksamkeit mehr nach Innen geht und eine andere Wahrnehmungsqualität schafft. "Der Klang ist dann das Tor zum Selbst, zur eigenen Phantasie, zu inneren Ressourcen", beobachtet die Musiktherapeutin.
*Der Name wurde von der Redaktion geändert.
Bildergalerie: Hospize: Mehr als nur Endstation und Sterbeort