Boliviens Ex-Präsident Evo Morales wird nicht müde, es zu wiederholen: Es habe 2019 bei den umstrittenen Präsidentschaftswahlen einen Putsch gegen ihn gegeben. Unterstützt wird er dabei von seiner sozialistischen Partei MAS. Doch die hat inmitten der damaligen Turbulenzen eine andere Rolle gespielt, als weder Morales noch seine Mitstreiter das heute einräumen möchten. Zu diesem Schluss kommt eine Dokumentation der katholischen Kirche in Bolivien, die sich zum Ziel gesetzt hat, die Ereignisse historisch aufzulisten, um eine Manipulation der Geschichte zu verhindern.
Wie nicht anders zu erwarten, hat der an den Vatikan gesandte Bericht die Gemüter wieder erhitzt. Darin ist nachzulesen, dass sich zwei MAS-Politikerinnen weigerten, das Präsidentenamt nach dem Rücktritt von Morales anzutreten, die MAS sich aber verpflichtet habe, die Oppositionspolitikerin Jeanine Anez als Interimspräsidentin anzuerkennen.
Damit wäre Anez eben nicht verfassungswidrig ins Amt gekommen, wie heute von der Partei behauptet, sondern sogar mit Unterstützung der MAS. Tatsächlich lieferte Anez dann ein Jahr lang zwar schlechte Regierungsarbeit ab, erfüllte aber ihre eigentliche Aufgabe: die Durchführung von Neuwahlen, die Luis Arce von der MAS dann klar gewann. Inzwischen sitzt Anez im Gefängnis. Sie erklärte dazu, ihr werde ein Putschversuch vorgeworfen, den es nie gegeben hat.
Unruhen und Verfolgung
Morales kritisiert inzwischen alle gesellschaftlichen Kräfte, die seiner Version widersprechen und fordert deren juristische Verfolgung. Die Kirche bezichtigt er, gemeinsame Sache mit den "Putschisten" zu machen. Mindestens unvollständig ist auch seine Darstellung, dass Militärs ihn zum Rücktritt gezwungen hätten. Richtig ist vielmehr, dass auch der MAS und Morales nahe stehende Gewerkschaften, der Ombudsstelle des bolivianischen Volkes und der Sicherheitskräfte Morales einen Rücktritt nahelegten.
Bolivien wurde nach der Präsidentschaftswahl im Oktober 2019 von heftigen Unruhen erschüttert. Schon die erneute Kandidatur des damaligen Präsidenten Morales war nach einem verloren gegangenen Referendum über eine dazu notwendige Verfassungsänderung hoch umstritten. Er brach sein Wort und setzte seine Kandidatur gegen das Wählervotum auf juristischem Wege durch. Inzwischen bezeichnet Morales das Vorgehen selbst als einen Fehler.
Vorwurf des Wahlbetrugs
Nach den Präsidentschaftswahlen warf die Opposition dem seit 2006 regierenden sozialistischen Präsidenten Wahlbetrug vor, Hunderttausende gingen auf die Straße. Morales bestand zunächst auf einem Sieg im ersten Durchgang. Eine Kommission der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) sprach in einem Abschlussbericht von schwerwiegenden Manipulationsversuchen und empfahl Neuwahlen, auch bolivianische Informatiker kamen zu diesem Schluss.
Morales trat zurück, ging zunächst nach Mexiko und später nach Argentinien ins Exil. Unter Berufung auf spätere Studien aus den USA wies Morales die Manipulationsvorwürfe zurück und spricht seitdem von einem Putschversuch gegen ihn. Die OAS blieb hingegen bei ihrer Darstellung.
Morales' Parteifreund Luis Arce gewann die von Anez organisierten Neuwahlen deutlich und versprach im Wahlkampf einen Kurs der Versöhnung, von dem er inzwischen abgewichen ist. Morales selbst kehrte nach Bolivien zurück und ist in führender Funktion innerhalb der Regierungspartei tätig.
Frage der unbegrenzten Wiederwahl
Der Ex-Präsident berief sich bei seinem Wortbruch im Anschluss an das verlorene Referendum auf das angebliche Menschenrecht einer unbegrenzten Wiederwahl. In wenigen Tagen wird die juristische Instanz der Organisation Amerikanischer Staaten darüber urteilen, ob es ein solches Recht überhaupt gibt.
Das ist auch für den aktuellen Amtsinhaber Arce nicht unwichtig: Nicht wenige Beobachter in Bolivien rechnen damit, dass Morales mittelfristig seinen Parteifreund wieder ablösen will. Denn eigentlich hält er sich immer noch für den rechtmäßigen Präsidenten des Landes.