Vor 25 Jahren wurde Klonschaf Dolly geboren

Zwischen Furcht und Hoffnung

Vor genau 25 Jahren wurde im schottischen Edinburgh das Klonschaf Dolly geboren. Wie wird die Geburt von Dolly nun im Jahr 2021 aus katholischer Sicht bewertet? Eine Einordnung des Augsburger Weihbischofs Anton Losinger.

Klonschaf Dolly / © Curtis (dpa)
Klonschaf Dolly / © Curtis ( dpa )

DOMRADIO.DE: Die Geburt von Dolly, dem Klonschaf vor 25 Jahren, beschwor ja, man kann schon fast sagen, regelrechte Horrorvisionen herauf. Selbst Forscher waren schockiert. Was haben Sie damals gedacht? Wissen Sie das noch?

Weihbischof Dr. Dr. Anton Losinger (Weihbischof im Bistum Augsburg, Bischofsvikar für Bioethik und Sozialpolitik): Die Geburt des Genschafs Dolly war in der Tat eine wissenschaftliche Sensation. Zum ersten Mal war es gelungen, ein Säugetier herzustellen aus den adulten Stammzellen eines Vorgänger-Lebewesen-Organismus, was ein neues, genetisch identisches Lebewesen auf die Bahn brachte. Logisch, dass daraus eine ganze Reihe von Hoffnungen, aber auch von Befürchtungen entstanden sind.

DOMRADIO.DE: Es ist ja in Sachen Klonen nicht ganz so schlimm gekommen wie befürchtet. Zwar haben Forscher in den vergangenen Jahren zu Forschungszwecken Tiere - Mäuse, Ziegen, Rinder, Schweine, Katzen, Hunde, Pferde und auch Affen - geklont. Menschen wurden bisher nicht geklont. Aber ist Klonen noch Thema oder ist das mittlerweile auch schon wieder Technologie von gestern?

Losinger: Klonen ist inzwischen in der Tat eine etablierte Technologie. Im Bereich der grünen Gentechnik etwa werden klonierte Pflanzen verwendet: Hybridorganismen, die etwa das Versprechen abliefern, dass sie resistent sind gegen Organismen, die sie angreifen und damit etwa zum Beispiel Resistenzen vermitteln, bei denen dann entsprechende Mittel nicht mehr benötigt werden.

Im Bereich der roten Gentechnik sind inzwischen sowohl die Befürchtungen als auch die Hoffnungen größer geworden. Bei der roten Gentechnik, also der Klonierung von Lebewesen, von Tieren und von Menschen, ist vor allem dort eine Stopplinie gezogen worden, wo es um Menschen geht.

DOMRADIO.DE: Beim Eingriff in das Erbgut von Mensch und Tier, da geht es um die Suche nach dem perfekten, fehlerfreien Lebewesen. Aber da ist man schon bei einer wichtigen Frage: Wer bestimmt, welcher Mensch, welches Tier überhaupt perfekt ist?

Losinger: Die entscheidende Frage liegt in der Tat dort: Wer bestimmt, was die Eigenschaft eines perfekten, geklonten Menschen dann sein sollte? Klonen von Menschen ist schlichtweg verboten. Allerdings wird inzwischen, seit etwa die berühmte Genschere CRISPR/Cas durch die Nobelpreisträgerin Emmanuelle Charpentier auf die Beine kam, eine ganz neue Vision wahr: Was ist, wenn die Genetik von lebenden Wesen auf Molekularbiologischer Ebene geändert, optimiert und verbessert werden kann? Und wenn daraus Lebewesen – am Ende auch Menschen – generiert werden sollten, wer ist der Herr über das Leben und über die Eigenschaften solcher Lebewesen?

DOMRADIO.DE: Und der- oder diejenige ist wahrscheinlich ja auch nur in dem Moment der Geburt dann genau identisch. Und ab da entwickelt er sich anders, oder?

Losinger: Zunächst einmal ist Klonen genauso wie etwa die genetische Veränderung von lebenden Organismen ein hochkomplexes Verfahren. Wissenschaftler, die das machen und die sich auch der Gefahren und Probleme bewusst sind, leben mit großem Verantwortungsbewusstsein. So habe ich das zumindest im Umfeld etwa der Max-Planck-Gesellschaft kennengelernt, deren Mitglied ich sein darf. Für die Zukunft der Menschheit würde ich sagen, dass sowohl die Veränderungen der genetischen Struktur von Pflanzen, von Tieren wie von Menschen eine höchste Vorsicht erfordert und dass darin dramatische Gefahren liegen können.

DOMRADIO.DE: Das eine ist ja, die Forschung kritisch zu betrachten, das andere ist noch eine ganz praktische Geschichte: Die Lobby für Menschen zu stärken, die nicht so perfekt sind, die vielleicht mit einer Behinderung durchs Leben gehen. Wie machen Sie das zum Beispiel in Augsburg?

Losinger: Wo immer man etwa durch genetische Verfahren die Perfektionierung des Organismus eines Menschen anzielt, muss man wissen: Der perfekte Mensch ist der Feind des imperfekten Menschen. Und damit entsteht die Frage: Was tun wir denn mit Menschen, die nicht perfekt sind? Wie geht eine Menschheit um mit Menschen mit Behinderungen?

Und hier würde ich mir schon die Frage erlauben: Was bedeutet es, wenn durch die Züchtung von genetisch perfekten Organismen Menschen mit nicht perfekten Organismen sozusagen degeneriert und selektiert werden? Und ein zweites Thema ist ganz klar: Welches Menschenbild von Menschen mit Behinderung werden wir generieren, wenn wir sagen, der nicht perfekte Mensch hat ein geringeres Lebensrecht als der perfekte Mensch? Hier steht in ethischer Perspektive die Menschheit tatsächlich an einer Trendwende.

DOMRADIO.DE: Wenn wir jetzt, 25 Jahre nach der Geburt von Schaf Dolly, ein vorläufiges Fazit ziehen: Was würden Sie sagen? Ist es gar nicht so schlimm gekommen? Oder greift der Mensch heute mehr in die Schöpfung ein, als Sie es je gedacht hätten?

Losinger: Ich würde sagen, sowohl die wissenschaftliche Forschung als auch die ökonomische Nutzung von Gentechnik haben gezeigt, dass es hochkomplex ist und schwieriger, als man je gedacht hatte. Zweitens ist der Wissenschaft ebenso wie der ökonomischen Nutzung bewusst geworden, dass sowohl die Chancen als auch die Gefahren dramatisch sind.

Drittens wurde uns, glaube ich, sehr deutlich klar, dass bei allem, was die Wissenschaft und die Technik in die Hand nehmen, nicht nur so etwas wie eine nüchterne Technikfolgenabschätzung wichtig ist, also dass Wissenschaft und Technik sich der Folgen ihres Handelns bewusst werden müssen. Sondern dass immer, wenn es um Menschen geht, auch die Frage nach der Würde, der Freiheit und dem Lebensrecht jedes einzelnen Menschen entsteht.

Das Interview führte Dagmar Peters.


Weihbischof Anton Losinger / © Harald Oppitz (KNA)
Weihbischof Anton Losinger / © Harald Oppitz ( KNA )
Quelle:
DR
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