KNA: Das aus sieben Mitgliedern bestehende Gremium soll über die Höhe von Zahlungen an Missbrauchsbetroffene in der katholischen Kirche in Deutschland entscheiden. Dabei prüft die Kommission sowohl Altfälle wie auch neue Anträge. Frau Reske, wie sind Sie zu der Kommission gekommen - und was treibt sie an, sich in dem Gremium zu engagieren?
Margarete Reske (Vorsitzende der Unabhängigen Kommission für Anerkennungsleistungen (UKA)): Ein Mitglied der Auswahlkommission hat mich gefragt, ob ich grundsätzlich zu einer solchen Arbeit bereit sei. Ich habe dann zugesagt, da ich die Hoffnung habe, mit meiner Ausbildung und meiner Berufserfahrung durch ehrenamtliche Tätigkeit dazu beitragen zu können, dass das den Betroffenen zugefügte Leid wahrgenommen und anerkannt wird.
Allen Mitgliedern der UKA ist zugleich bewusst, dass die Zahlung von Anerkennungsleistungen das geschehene Leid und dessen oft seit Jahrzehnten getragene Folgen nicht ungeschehen machen kann.
KNA: Die Kommission trägt das Wort "unabhängig" im Namen. Wie unabhängig kann ein Gremium sein, das von den Bischöfen eingesetzt wurde?
Reske: Die Geschäftsstelle hat ihren Sitz nicht im Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, sondern mit eigenen Büroräumen an anderer Stelle in Bonn. Die Mitarbeiterinnen der Geschäftsstelle sind zwar beim Rechtsträger der Bischofskonferenz, dem VDD, angestellt.
Sie sind aber nach der Verfahrensordnung den Weisungen der Mitglieder der Unabhängigen Kommission unterworfen. Die Mitglieder der Kommission sind sich ihrer Unabhängigkeit sehr bewusst und üben sie - ebenso bewusst - nach allen Seiten so aus.
KNA: Wie muss man sich die Arbeit innerhalb der Kommission vorstellen?
Reske: Wir arbeiten nach der Verfahrensordnung, die für jedermann öffentlich einsichtig ist. Entsprechend dieser Verfahrensordnung werden für die jeweilige Sitzung durch die Mitarbeiterinnen der Geschäftsstelle die Akten terminiert; gleichzeitig werden sie den "Berichterstattern" zugeordnet. Das bedeutet, die Mitglieder der Kommission tragen in der Sitzung die besondere Verantwortung für diese Fälle.
KNA: Welche Rolle übernehmen Sie als Vorsitzende?
Reske: Ich bin auch Berichterstatterin, lese daneben als Vorsitzende aber auch jede einzelne für die jeweilige Sitzung terminierte Akte.
Diese Verfahrensweise kenne ich aus meinem früheren Beruf, ich war zuletzt Vorsitzende Richterin eines Zivilsenats beim Oberlandesgericht Köln. Es ist eine Art «Vier-Augen-Prinzip» und soll sicherstellen, dass keine Einzelheiten unberücksichtigt bleiben. In der Sitzung selbst wird dann Fall für Fall aufgerufen und zunächst vom Berichterstatter vorgestellt. Anschließend folgt eine Diskussion, an deren Ende die Festsetzung der Anerkennungsleistung steht, über die dann abgestimmt wird.
KNA: Entspricht der Arbeitsaufwand dem, was Sie sich vorab vorgestellt haben?
Reske: Der Aufwand ist sicherlich zumindest im Vorfeld einer Sitzung recht hoch, je nach Umfang der Akten benötige ich dafür gut zwei Arbeitstage. Daneben waren besonders in der Anfangsphase viele allgemeine Fragen zu klären.
KNA: Unter Betroffenen regte sich zuletzt Unmut, unter anderem über die Länge der Antragsverfahren.
Reske: Ich verstehe den Unmut. Aber man muss sich vorstellen, dass in dem neuen Antragsverfahren grundsätzlich die bereits nach dem abgeschlossenen Altverfahren gestellten Anträge ohne große zusätzliche Bearbeitung oder weitere Stellungnahmen erneut bei der UKA eingereicht werden konnten. In dem alten Verfahren sind über zehn Jahre gut 2.400 Fälle bearbeitet worden, mehr als ein Drittel davon ist allein in den ersten Monaten zur Wiederbearbeitung eingegangen.
KNA: Eine ganze Menge.
Reske: Das Verfahren nach der Verfahrensordnung ist so konzipiert, dass eine Einzelbewertung stattzufinden hat, darüber hinaus unterscheiden sich die Kriterien für die Entscheidung zur Höhe von denjenigen des Altverfahrens. Dadurch, dass Maßstab für die Höhe der Anerkennungsleistung die obere Grenze der von staatlichen Gerichten in vergleichbaren Fällen festgesetzten Schmerzensgeldbeträge ist, ist jeweils eine Abwägung der maßgeblichen Kriterien für den Einzelfall zu treffen. Die geschilderten Umstände haben in ihrer Gesamtheit dazu geführt, dass sich eine hohe Anzahl von Akten zur Bearbeitung angehäuft hat, besonders in den Monaten Februar bis April.
KNA: Gibt es weitere Gründe für die von manchen Betroffenen als schmerzlich empfundenen Verzögerungen?
Reske: Nach reiflicher Überlegung haben wir eine Priorisierung der besonders dringlich zu entscheidenden Anträge eingeführt. So werden beispielsweise die Anträge vorgezogen, bei denen Betroffene sehr alt sind oder unter ernsten, das Leben verkürzenden Erkrankungen leiden.
Umgekehrt bedeutet das für einige Betroffene, dass dadurch ihr Antrag etwas später entschieden wird.
KNA: Wie wollen Sie die Verfahren beschleunigen?
Reske: Die Verfahrensordnung hat neben der Sitzung im großen Gremium inzwischen auch ein Kammer-Prinzip ermöglicht. Dieses gilt für Anträge, in denen keine grundsätzlichen, neuen Fragen zu entscheiden sind. Dafür ist allerdings Einstimmigkeit Voraussetzung. Vereinfacht gesagt können wir dadurch schneller in kleineren Teams arbeiten und entscheiden, ohne die Sorgfalt oder das Vier-Augen-Prinzip zu vernachlässigen. Der VDD ist außerdem rasch unserer Bitte nachgekommen und hat eine Stellenausweitung in unserer Geschäftsstelle ermöglicht. Es ist und bleibt unser Anliegen, die belastende Wartezeit im Sinne der Betroffenen möglichst kurz zu halten.
KNA: Manche Betroffene beklagen sich über zu wenig Empathie bei der Antragstellung. Kann die Kommission das leisten oder bräuchte es dafür zusätzlich eigene Psychologen?
Reske: Ich glaube, dass diese Kritik nicht die Arbeit der UKA betrifft, weil diese nicht in das Verfahren der Entgegennahme der Anträge eingebunden ist. Sie entscheidet nur über die Höhe der Anerkennungsleistungen bei plausiblen Anträgen. Bei den Altverfahren bleibt es zudem den Betroffenen erspart, den Missbrauch nochmals zu schildern - es sei denn, sie möchten selbst noch etwas hinzufügen.
Das ist aus meiner Sicht eine gewisse Erleichterung.
KNA: Sofern die Anträge jetzt erstmals gestellt werden...
Reske: ...werden Betroffene den Missbrauch schildern müssen. Das wird naturgemäß für viele hart sein. Allerdings werden an die Details der Darlegungen seitens der UKA weit geringere Ansprüche gestellt, als das aus Gerichtsverfahren bekannt ist. Und die Ansprechpersonen der kirchlichen Organisationen, die den direkten Kontakt mit den Betroffenen haben, agieren nach meinem Eindruck durchweg sehr empathisch und setzen sich enorm für die Belange der Antragsteller ein.
KNA: Inzwischen gibt es eine Fülle von Gutachten, Kommissionen, Betroffenenbeiräten. Besteht die Gefahr, dass sich Kirche verzettelt und Betroffene am Ende gar nicht mehr wissen, an wen Sie sich wenden können?
Reske: Es ist in der Tat so, dass schon der Name der UKA verwechslungsfähig ist, weil es auch die Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs gibt, die beim Bund angesiedelt ist. Auch erlebe ich häufig, dass sich gerade bei den ehemaligen Heimkindern die Problematik von nicht sexualisierter Gewaltanwendung und Misshandlungen einerseits mit derjenigen des sexuellen Missbrauchs andererseits überlagern. Dann ist sicher eine Abgrenzung schwierig. Ich glaube aber, dass es bei den Bistümern und bei den Orden ausgezeichnete Ansprechpersonen gibt, an die sich die Betroffenen jederzeit mit ihren Fragen wenden können.
Das Interview führte Joachim Heinz.