DOMRADIO.DE: Verstehen Sie, dass viele Menschen momentan so eine Art Klima-Depression haben?
Marc Engelhardt (Auslandskorrespondent für "Weltreporter"): Ja, ich glaube, das ist vollkommen natürlich. Ich habe mir beruflich die Reden angehört, die am Anfang der Klimakonferenz gehalten wurden; und da war von Weltuntergang die Rede, von letzten Minuten vor zwölf und eigentlich auch implizit immer davon, dass es kaum noch Hoffnung gibt. Da ist es ganz natürlich, glaube ich, dass man da erst mal denkt: Es ist zu spät, da gibt es nichts mehr, was wir machen können. Das ist eine schreckliche Falle, denn tatsächlich kann man ja noch etwas tun. Das Spannende ist, es gibt Menschen, die das auch machen. Das Faszinierende an denen ist eben, dass sie diese Depression überwunden haben oder gar nicht bekommen haben, sondern stattdessen einfach Hoffnung haben.
DOMRADIO.DE: Wie werden denn aus ganz normalen Menschen Klimakämpfer – die Sie in Ihrem Buch portraitiert haben?
Engelhardt: Das ist vollkommen unterschiedlich und das macht eigentlich auch die Faszination aus. Das sind größtenteils ganz normale Menschen. Die haben nicht angefangen, indem sie Klimaschutz studiert haben und dann einen Klimaschutz-Beruf ergriffen haben. Sondern das sind Menschen, die teilweise gar keine Ausbildung haben, wie ein brasilianischer Bauer, der früher selbst Wald abgefackelt hat, damit er pflanzen konnte. Dann hat er gesehen hat, was das für Auswirkungen hat und ist geläutert. Es sind auch Leute, die früher in der Industrie gearbeitet haben und dann erkannt haben: Moment mal, wir zerstören hier eine ganze Menge. Dann haben sie Alternativen gesucht. Ich denke an einen Mann aus Paris, der in der Kosmetikindustrie jetzt nach Alternativen sucht, die klimafreundlich sind.
DOMRADIO.DE: Welche Geschichte hat Sie am meisten beeindruckt?
Engelhardt: Es sind tatsächlich mehrere. Was mich schon überrascht hat und auch ein bisschen entsetzt, ist, wie gefährlich es an manchen Orten ist, für den Erhalt der Umwelt und für den Klimaschutz zu kämpfen. Es gibt Pablo López, den mein Kollege in Mexiko porträtiert hat. López sitzt seit zehn Jahren im Gefängnis, weil er in dem Dorf, in dem er lebt, verhindern wollte, dass der Wald abgeholzt wird, wofür große wirtschaftliche Interessen sprachen. Das ist eine Minderheit, die in diesem Dorf lebt, zu der auch Pablo López gehört. Die Bewohnerinnen und Bewohner haben gesagt: Dieser Wald ist unsere Lebensgrundlage, der darf nicht abgeholzt werden. Dafür haben sie demonstriert. Dann wurde López in einer Nacht-und-Nebelaktion verhaftet.
Seit zehn Jahren ist er im Gefängnis. Noch mal 20 Jahre muss er da sitzen, wenn kein Wunder geschieht. Natürlich hat mein Kollege ihn auch gefragt: Würdest du es denn noch mal tun? Und er sagt: Ja, unbedingt. Ich kämpfe selbst jetzt vom Gefängnis aus, so gut ich kann dafür, dass die Natur bei mir im Dorf erhalten bleibt. Das ist natürlich schon beeindruckend
DOMRADIO.DE: Wo kommt dieser Mut her? Häufig ist es ja eine Art Übermacht von staatlicher Seite, die sich solchen Klimakämpfern entgegenstellt.
Engelhardt: Ich glaube, dass man diesen Eindruck ganz leicht haben kann. Was mich so fasziniert an Leuten wie Pablo López in Mexiko zum Beispiel, das ist, dass die Leute sagen: Ja, der Staat, der tut so, als sei er groß und übermächtig. Aber in Wirklichkeit ist es natürlich so, dass wir, die Bürger, die Mehrheit stellen. Wenn wir etwas tun und wenn wir etwas wollen und dafür auch auf die Straße gehen, dann kann ein Staat gar nicht anders, als sich bewegen. Das ist die große Hoffnung im Hintergrund.
DOMRADIO.DE: Sie persönlich haben auch aus der Schweiz berichtet. Welchen Klimaretter haben Sie getroffen?
Engelhardt: Da habe ich Felix Keller getroffen, der hat eine ganz irre Idee. Der sieht, dass die Gletscher im Engadin schmelzen, und er möchte die retten, indem er Schneiseile über die Gletscher hängt. Das ist nicht nur ingenieurwissenschaftlich eine Herausforderung. Letztlich sollen die Gletscher im Sommer beschneit werden mit Schnee, der im Winter aufbewahrt wird. Die Idee ist dann, dass diese Gletscher langsamer schmelzen. Das ist für die Schweiz wichtig, weil die natürlich viel Tourismus in den Bergen hat. Aber er sagt, vor allem gibt es Landstriche wie im Norden von Indien und sonst im Himalaya, da braucht man diese Gletscher, weil die Menschen ein Teil des Wassers, was da abschmilzt, brauchen.
DOMRADIO.DE: Auch Papst Franziskus setzt sich stark fürs Klima ein, hat jetzt auch vor der Weltklimakonferenz noch mal einen eindringlichen Appell ausgesandt, zusammen mit religiösen Führern von Weltreligionen. Welche Rolle spielen denn religiöse Überzeugungen?
Engelhardt: Das spielt für viele implizit und explizit eine total wichtige Rolle. Ich denke da zum Beispiel an eine Frau, die in Katalonien eine Aktion gegründet hat, die gegen Lebensmittelverschwendung vorgeht. Das sind inzwischen 2000 Leute, die auf die Felder gehen und all das ernten, was nicht irgendwelchen EU-Normen entspricht. Oder das, was sich eben nicht so verkaufen lässt, dass es im Supermarkt liegen kann – was man aber trotzdem essen kann und essen sollte. Die hat gesagt: Die Grundlage ist eigentlich für mich das Alte Testament, wo es heißt, man darf den Randstreifen der Felder als Bauer nicht ernten, weil der für die Armen gedacht ist.
Genauso versteht sie ihre Arbeit. Die, die wenig haben, können dann eben mitkommen auf die Felder und sammeln diese Sachen. Wer nicht selbst kommen kann, der kann es sich später im Laden abholen. Das ist eine Aktion, die schon auch aus einer tiefen religiösen Verwurzelung geboren worden ist.
Das Interview führte Jann-Jakob Loos.