DOMRADIO.DE: Eine Wahl, bei der man vorher weiß, was rauskommt. Wie gefällt Ihnen das als gewählte Volksvertreterin?
Mechthild Heil (Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende der Katholischen Frauengemeinschaft Deutschlands): Wir haben ja nicht vorher schon gewählt, sondern zum Wahlgang. Jeder hat eine Stimme und jeder kann sich frei entscheiden. Natürlich gab es da nicht nur Unterstützung. Wenn auch eine Parteiführung sagt, dass wir jemanden unterstützen, heißt das nicht, dass das jeder Einzelne macht, sondern jeder Einzelne hat eine freie Entscheidung. Am Ende hat sich aber gezeigt, dass es eine breite, breite Mehrheit gab. Das finde ich auch sehr gut.
DOMRADIO.DE: Selbst für eine Bundesversammlung, die ja nur alle fünf Jahre stattfindet, war es heute sehr ungewöhnlich. Aus Corona-Gründen fand sie nicht im Reichstagsgebäude statt, sondern im Paul-Löbe-Haus, einem Verwaltungsgebäude mit Abgeordnetenbüros. Wie haben Sie das ganze Prozedere erlebt?
Heil: Es war schon anders als sonst. Ich hatte ja das Glück, schon andere Wahlen mitzuerleben. Heute Morgen ging es erst mal mit einem ökumenischen Gottesdienst los. Das war eigentlich so, wie es jedes Mal – und das war auch ganz gut so. In den Tagen vorher haben wir schon gesehen, dass das Paul-Löbe-Haus sehr umgebaut wurde. Sitze für 1400 Leute wurden montiert. Das ist schon ein tolles Ambiente gewesen. Ich kenne das vom Weihnachtssingen. Da ist es ähnlich. Dann stehen alle Leute auf den Rängen, singen Weihnachtslieder und die ganze Halle vibriert. Ein bisschen war das heute auch so.
DOMRADIO.DE: Einerseits ist heute ein wichtiger Tag in unserer demokratischen Kultur – aber das Ergebnis ist nicht überraschend. Welche Signifikanz hat dieser Tag für Sie?
Heil: Es ist schon ein sehr wichtiger Tag. Das ist überhaupt gar keine Frage. Wenn jemand mit vielen Stimmen von unterschiedlichen Parteien gewählt wird, dann zeigt das doch, dass unsere Demokratie so gut ist und so stark ist: Wenn da einer gut ist und einen guten Job macht, dann wählt man ihn auch. Das ist doch herausragend. Wo finden Sie das sonst in anderen Nationen und Gemeinschaften? So gesehen ist das wirklich ein ganz, ganz besonderer Tag gewesen, obwohl es sehr wahrscheinlich war, dass das Ergebnis schon im Vorhinein erahnbar gewesen ist.
DOMRADIO.DE: Frank-Walter Steinmeier ist überzeugter evangelischer Christ. Spielt das für Sie eine Rolle, dass wir da einen Bundespräsidenten mit einer Glaubensüberzeugung und einem christlichem Weltbild haben?
Heil: Das hat jetzt heute bei meiner Stimmabgabe nicht so die Rolle gespielt. Grundsätzlich schon. Er hat eben eine Ansprache gehalten, in der das schon auch noch mal rauskam. Ich weiß aus seiner Biografie, dass er sich immer schon für Obdachlose eingesetzt hat. Das hat er eben auch noch mal ausgedrückt. Das treibt mich auch um. Das finde ich einfach gut, dass wir an der Spitze jemanden haben, der dafür steht und sagt: Das dürfen wir als Gesellschaft nicht ertragen. Schaffen wir es nicht, uns da ja zu vereinen und zu sagen: Das müssen wir abschaffen oder wir müssen viel, viel mehr tun? So gesehen zeigt sich das immer mal wieder, welche Wertegrundlage er hat. Und das unterstütze ich auf jeden Fall.
DOMRADIO.DE: Die Bundesrepublik ist jetzt über 70 Jahre alt, trotzdem gab es noch keine Frau an der höchsten Stelle. Wäre es nicht an der Zeit gewesen für eine Frau?
Heil: Es wäre schön gewesen. Aber Herr Steinmeier ist nun mal ein Mann. Aber das wird irgendwann auch kommen.
Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.