Superintendent fordert mehr Toleranz in katholischer Kirche

Kann denn Liebe Sünde sein?

Zum sechsten Mal fuhr ein Paradewagen von der evangelischen Kirche beim Christopher Street Day in Berlin mit. Superintendent Dr. Bertold Höcker wünscht sich mehr Sichtbarkeit der queeren Community - auch und gerade in den Kirchen.

Erster Truck der evangelischen Kirchenkreise beim Christopher Street Day 2017 in Berlin  / © Christian Ditsch (epd)
Erster Truck der evangelischen Kirchenkreise beim Christopher Street Day 2017 in Berlin / © Christian Ditsch ( epd )

DOMRADIO.DE: Warum war es Ihnen wichtig, von Seiten der evangelischen Kirche dabei zu sein?

Superintendent Bertold Höcker / © Jürgen Blume (epd)
Superintendent Bertold Höcker / © Jürgen Blume ( epd )

Dr. Bertold Höcker (Superintendent des Kirchenkreises Berlin Stadtmitte der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz): Wenn fast eine Million Menschen auf den Beinen sind, um Gay Pride zu feiern, ist das für Berlin ein großes Ereignis und für uns die Gelegenheit, unsere Botschaft vielen Menschen nahezubringen.

DOMRADIO.DE: Wie kommt es bei den Teilnehmern an, dass Sie von kirchlicher Seite dort auftauchen?

Höcker: Wir sind jetzt seit sechs Jahren dabei und inzwischen entwickelt sich das zur Normalität, dass wir immer unter dem Label "Liebe tut der Seele gut" zusammen mit Juden und Muslimen einen Wagen machen.

DOMRADIO.DE: Aber gibt es da nicht auch Kritik? Queere Menschen und Religion - das ist oder war auch oft schwierig.

Eine Regenbogenfahne weht auf dem Südwestturm des Reichstagsgebäudes am 23. Juli 2022 in Berlin / © Jannis Chavakis (epd)
Eine Regenbogenfahne weht auf dem Südwestturm des Reichstagsgebäudes am 23. Juli 2022 in Berlin / © Jannis Chavakis ( epd )

Höcker: Dass es schwierig war, ist klar. Aber nach der letzten Pressekonferenz sagte zum Beispiel ein ARD-Journalist: "Das war jetzt der Schulterschluss der queeren Community mit der Kirche". Es hat mich sehr gefreut, dass nach den Jahren des Aufbaus sich langsam rumspricht, dass man nun auch bei uns verschieden und gleichgeschlechtlich heiraten kann.

Dr. Bertold Höcker

"Das war jetzt der Schulterschluss der queeren Community mit der Kirche"

DOMRADIO.DE: Eine Ihrer Aktion beim Christopher Street Day war auch ein internationales Panel unter dem Motto "Religiös und Queer" mit Gästen aus vielen verschiedenen Ländern. Was ist dabei herausgekommen?

Höcker: Dabei herausgekommen ist, wie priviligiert wir hier sind und wie schwer es zum Beispiel die Aktivistinnen in Russland, Ghana oder auch in konservativ geprägten Ländern mit einer Machokultur haben, überhaupt eine Sichtbarkeit zu bekommen, weil in den meisten Ländern Homosexualität noch unter Strafe steht.

DOMRADIO.DE: Religion und queere Menschen - das ist auch auf katholischer Seite kein leichtes Thema. Was muss da aus Ihrer Sicht noch passieren?

Das diesjährige Motto des Umzugs: United in Love! Gegen Hass, Krieg und Diskriminierung. / © Monika Skolimowska (dpa)
Das diesjährige Motto des Umzugs: United in Love! Gegen Hass, Krieg und Diskriminierung. / © Monika Skolimowska ( dpa )

Höcker: Ich glaube, die katholische Kirche tut sich immer noch sehr schwer damit, weil sie vom Naturrecht ausgeht. Wenn man davon ausgeht, dass Sexualität nur zur Fortpflanzung da ist, ist es für gleichgeschlechtliche Paare natürlich schwierig. Wir gehen aber von der Liebe aus und Liebe kann nicht Sünde sein. Von daher ist es für uns leichter. Aber ich glaube, es wird nur gehen, wenn durch #OutInChurch oder andere Aktivitäten innerhalb der katholischen Kirche mehr und mehr sichtbar wird, dass natürlich auch queere Menschen Teil der katholischen und der evangelischen Kirche sind.

#OutInChurch

Es ist eine große konzertierte Aktion: Auf einer Internetseite und im Rahmen einer Fernsehdokumentation haben sich 125 Menschen in der katholischen Kirche geoutet. Sie alle sind haupt- oder ehrenamtlich in der Kirche tätig und zugleich Teil der queeren Community, wie die Initiative "#OutInChurch - für eine Kirche ohne Angst" mitteilte. Die Initiative fordert unter anderem, das kirchliche Arbeitsrecht so zu ändern, "dass ein Leben entsprechend der eigenen sexuellen Orientierung und der geschlechtlichen Identität" nicht zur Kündigung führe. (KNA, 24.1.2022)

 © Julia Steinbrecht (KNA)
© Julia Steinbrecht ( KNA )

Dr. Bertold Höcker

"Wir gehen aber von der Liebe aus und Liebe kann nicht Sünde sein"

DOMRADIO.DE: Es gibt aus den Religionen aber auch nach wie vor Kritik, zum Beispiel der Forderung nach der Gleichberechtigung queerer Menschen. Was antworten Sie darauf?

Höcker: Also von "den Religionen" muss ich die evangelische Kirche erst mal ausnehmen. Bei uns sind queere Menschen absolut gleichberechtigt - in allen evangelischen Landeskirchen. Aber wir haben gerade gesehen, dass von muslimischer Seite enorme Vorbehalte bestehen. Wir kooperieren hier mit der Ibn-Rushd-Goethe-Moschee. Da haben wir eine Regenbogenfahne gehisst, zusammen mit anderen aufgeklärten Teilen von Religion. Dagegen gab es eine weltweite Hasskampagne.

DOMRADIO.DE: Würden Sie wirklich sagen, es gibt niemanden auf evangelischer Seite, der da seine Probleme hat?

Höcker: Also ich sehe es zurzeit nicht. Ich kenne keine offizielle Äußerung. 

DOMRADIO.DE: Nicht von offizieller Seite - auch wenn es sein kann, dass einzelne Leute da durchaus anders denken?

Höcker: Natürlich, das ist ja immer so. Nur was sich herausgestellt hat, ist, dass es für die meisten ein kulturelles, aber kein theologisches Unbehagen ist. Wir haben in unserer Kirche einen riesigen Konsultationsprozess hinter uns, und die Einsprüche kamen immer nur aufgrund kulturellen Unbehagens. Es gab kein einziges theologisches Argument. Und in der evangelischen Kirche ist die Theologie die Leitwissenschaft. Wenn theologisch etwas klar ist, dann wird es so gemacht.

Dr. Bertold Höcker

"Es gab kein einziges theologisches Argument."

Das Interview führte Hannah Krewer.

Katholische Verbände solidarisieren sich mit katholischer queerer Initiative

Rund 20 katholische Verbände und Organisationen solidarisieren sich mit queeren Katholikinnen und Katholiken. "Es darf nicht länger hingenommen werden, dass Menschen in kirchlichen Kontexten aus Angst gegenüber Kirchenvertreter*innen ein Schattendasein führen müssen, wenn sie nicht dem von der Kirche normierten Geschlechterbild entsprechen", heißt es in einer am Montag veröffentlichten gemeinsamen Erklärung. Anlass sind Äußerungen der Betroffenen zu ihrer Sexualität beziehungsweise ihrer Geschlechteridentität im Rahmen einer bundesweiten Kampagne.

Homosexuelles Paar mit Armbändern in Regenbogenfarben / © chayanuphol (shutterstock)
Homosexuelles Paar mit Armbändern in Regenbogenfarben / © chayanuphol ( shutterstock )
Quelle:
DR
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