Der Dom und seine Liturgie seien schon immer etwas Besonderes für ihn gewesen, stellt Pfarrer Guido Zimmermann fest. Dabei geht seine Erinnerung weit in die Kindheit zurück. Denn schon unter Kardinal Höffner war er jedes Jahr als Sternsinger bei der traditionellen Aussendungsfeier mit dabei. Später habe er die Kathedrale als Albertiner, dann als Seminarist erlebt. "Und immer haben wir dabei voller Ehrfurcht zu den ehrwürdigen Prälaten und Domkapitularen emporgeschaut." Im Dom sei er geweiht worden. "Hier habe ich mein ‚Adsum’ gesprochen. Das ist Teil meines Lebens und bleibt eng mit diesem Raum verbunden." Heute könne er mitunter immer noch kaum glauben, dass er inzwischen selbst an diesem Hochaltar stehen und zelebrieren dürfe, erklärt der 50-Jährige, der seit März 2021 nichtresidierender Domkapitular an der Hohen Domkirche ist. "Auf Vorschlag des Erzbischofs und mit der Zustimmung des Kapitels", wie er ausdrücklich betont.
Denn ihm ist wichtig, dass sich mit seiner Ernennung auch eine breite mitbrüderliche Akzeptanz in diesem Gremium verknüpft. Schließlich gibt es auch Berufungen, die laut Statut ohne die Zustimmung der insgesamt 16 Domkapitulare erfolgen können. "Aber bewusst gewollt und ausgewählt zu sein, ist schon ein wohltuendes Signal. In jedem Fall empfinde ich das als Ehre, Teil des Kölner Metropolitan-kapitels zu sein." Der Anruf von Kardinal Woelki damals sei eine große Überraschung und Freude gewesen – "eben weil ich zu meiner Bischofskirche eine so intensive Beziehung habe". Und die Anteilnahme in den vielen Rückmeldungen und Glückwunschschreiben aus ganz Deutschland nach seinem ersten Kapitelsamt hätten ihn richtig bewegt.
Demnächst auf Pilgerfahrt zu den Festspielen nach Oberammergau
Zu außergewöhnlichen Anlässen wie zu Dreikönigen, der Chrisam-Messe in der Karwoche oder der Priesterweihe ist Zimmermann immer im Dom. Dann nimmt er sich ausnahmsweise frei vom Dienst daheim. "Grundsätzlich werde ich zu allen Festen oder Veranstaltungen des Domkapitels eingeladen, bin zur regelmäßigen Teilnahme an den Sitzungen aber nicht verpflichtet. Das wäre auch gar nicht zu schaffen. Nur wenn es etwas Besonderes gibt, sehe ich zu, dass ich mich von zuhause losmachen kann."
Zuhause – das ist für Zimmermann die einstige Römerstadt Zülpich in der Voreifel, wo er seit 2006 Seelsorger ist, die Kirche noch das Zentrum bildet und der Pfarrer etwas gilt. Die Menschen mögen ihren Pastor. Und auch umgekehrt. "Die Zülpicher Mentalität kommt mir sehr entgegen: Karneval, die Blauen Funken oder auch die Schützen bieten viel Gelegenheit, sich unters Volk zu mischen, auch bei weltlichen Feiern einen engen Kontakt zur Gemeinde zu pflegen und – ganz wichtig – umeinander zu wissen", sagt der Seelsorger, der einen Draht zu seinen Leuten hat. Demnächst gehe es mit einer Pilgergruppe zu den Passionsspielen nach Oberammergau. "Mit der Gemeinde unterwegs – das schafft Zusammenhalt, Gemeinschaft und Geborgenheit."
Darüber hinaus ist es der große Sendungsraum Zülpich-Veytal mit 26 Gemeinden, für die der gebürtige Grevenbroicher seit fast 15 Jahren als Kreisdechant zuständig ist. "Da bleibt man automatisch in Bewegung, fährt viel über Land und hat mit den unterschiedlichsten Menschen zu tun." Hier sei die Welt meist noch in Ordnung, auch wenn der Terminkalender oft bis an den Rand gefüllt sei und dieses Amt pausenlosen Einsatz erfordere. Trotzdem empfinde er das als spannend. "Die Mischung macht’s. Ich bin viel unterwegs, gerne am Dom, aber auch froh, wenn ich abends wieder zurück nach Zülpich fahren kann", bekennt Zimmermann erfrischend freimütig. "Denn vor allem bin ich gerne Pastor."
Genau genommen Leitender Pfarrer einer riesigen Einheit – was grundsätzlich auch mehr Entscheidungsbefugnis bedeute, wie Zimmermann erklärt. Aber allein schon rein flächenmäßig eben auch ein immens großes pastorales Feld, um das er angesichts der vielen Herausforderungen – darunter zuletzt auch noch die lokal verortete Missbrauchsdebatte, weil gleich zwei namentlich bekannte Täter am Ort gewohnt haben – wenig beneidet wird. Auch diese Seite, die der Kritik und Anfeindung, bei der Kirche permanent auf dem Prüfstand steht, sei ihm durchaus bewusst. "Das Thema Missbrauch liegt wie ein Schatten auf unserer Kirche und trifft mich als Mitbruder und als Priester." Natürlich habe ihm das inzwischen auch ein Stück Unbefangenheit genommen, wenn er durch den Ort gehe und an jeder Ecke Rede und Antwort stehen müsse. "Klar, werde ich viel darauf angesprochen. Und ja, jeder einzelne Kirchenaustritt in diesem Kontext tut weh, auch weil ich inzwischen diejenigen persönlich kenne, die sich von der Kirche abwenden. Früher haben sie aktiv mitgemacht, gehörten sogar einmal zum inner circle."
Trotzdem: Das Hirtenamt inmitten einer Herde von sage und schreibe 20.000 Gläubigen ist dem beliebten Seelsorger Zimmermann wie auf den Leib geschnitten. In dieser Berufung ist er tief verwurzelt. Und die Leidenschaft, aber auch Fröhlichkeit, Bodenhaftung und unerschütterliche Glaubenskraft, mit der er seine Aufgabe ausfüllt, stehen ihm ins Gesicht geschrieben. "Das Wichtigste ist mir, mit den Menschen Freud und Leid zu erleben", argumentiert er denn auch, "mit ihnen das Leben zu teilen, ihnen Trost zu spenden, wenn sie trauern, und ihnen Mut zuzusprechen, wenn sie nicht mehr weiter wissen. Bei den Leuten zu sein – oder wie es Kardinal Frings damals gesagt hat: für die Menschen bestellt – das ist mir ein Herzensanliegen. Dafür bin ich Priester geworden."
"Allen unseren Krisen haben wir doch eine unschlagbare Botschaft entgegenzusetzen: die Botschaft von Hoffnung und Auferstehung", betont Zimmermann. "Natürlich darf nichts vertuscht und zugedeckt werden – die Wahrheit muss ans Licht – aber wenn uns das Positive und Schöne dieser christlichen Botschaft nicht mehr prägt, können wir doch wirklich einpacken."
Füssenicher Madonna gilt als ein Meisterwerk der Gotik
Nicht zuletzt begegne ihm diese Schönheit des Glaubens auch in den vielen kleinen Kirchen seines Pastoralbezirks: zwischen Bürvenich, Antweiler und Obergartzem, zwischen Kommern, Wichterich und Bessenich, in den liturgisch festlichen Gottesdiensten, aber auch in jeder Frühmesse, die er täglich in einer anderen dieser Dorfkirchen feiere, und schließlich in jeder traditionellen Frömmigkeitsform, wie sie auf dem Land noch gepflegt werde. "Deshalb ist mir auch die Füssenicher Madonna so nah. Unter allen Lieblingsorten – und davon gibt es schließlich einige im Dom – ist mir ihr Platz in der Achskapelle immer noch der liebste. Mit ihr verbinde ich ein Stück Heimat – mitten im pulsierenden Leben der Großstadt."
Dass die eher unscheinbar wirkende Mariendarstellung einen solch exponierten Platz einnimmt, wirkt fast wie ein Widerspruch. Denn tatsächlich thront ihre zierliche Gestalt auf dem 1908 von Friedrich Wilhelm Mengelberg geschaffenen neugotischen Altar dieser Kapelle, die man bereits beim Betreten der Kathedrale weit hinten im Osten der Blickachse entdecken kann und deren Wände noch die originalen Fresken aus dem Mittelalter aufweisen. Die in der Zeit um 1300 entstandene Skulptur gilt als Meisterwerk der Gotik. "Ihr Namen bezeichnet ihren Herkunftsort, da sie ursprünglich aus dem Prämonstratenserinnenkloster in Füssenich stammt", erklärt Zimmermann. Inzwischen beherberge das ehemalige Stiftsgebäude zwar ein Berufskolleg, doch die in der barocken Klosterkirche St. Nikolaus noch immer lebendige Aldericus-Verehrung ziehe nach wie vor Pilger aus Nah und Fern an und mache damit Füssenich in Stoßzeiten zu einem belebten Wallfahrtsort.
Kunstsammler Schnütgen schenkte Marienstatue dem Kölner Dom
Um 1883 gelangte die Marienstatue in den Besitz des Kunstsammlers und Domkapitulars Alexander Schnütgen, der dieses "Juwel" seiner Sammlung schließlich dem Dom schenkte. Bedauerlicherweise arbeitete der Bildhauer Mengelberg die Madonna nach seinen Vorstellungen um und zerstörte dabei vor allem die bis dahin hervorragend erhaltene originale Farbfassung aus dem Mittelalter, indem er diese durch eine historistische ersetzte, die in den 1950er Jahren dann erneut eine Überarbeitung erfuhr.
Eine "Füssenicherin" an einer derart zentralen Stelle – direkt vis á vis der Heiligen Drei Könige, gewissermaßen im direkten Blickkontakt zu ihnen – das sei nicht zu toppen, findet Pfarrer Zimmermann sichtlich begeistert. "Nicht auszuschließen, dass sie bei ihren noch berühmteren Nachbarn ein gutes Wort für uns einlegt", lacht der Euskirchener Kreisdechant. Auch wenn die Füssenicher nach über hundert Jahren ihre Madonna immer noch zurück wollten, sei es vielleicht gar nicht verkehrt, dass sie damals auf Pilgerschaft in die Rheinmetropole gegangen sei. "Heute haben wir dafür längst einen würdigen Ersatz." Und hier leiste die Gottesmutter als Fürsprecherin von der Peripherie des Bistums wirklich unverzichtbare Dienste. "Prominenz aus Füssenich im Kölner Dom", unterstreicht der Domkapitular schmunzelnd, "das kann in keinem Fall schaden."