Strafrecht soll um Missbrauch in Seelsorge erweitern werden

Regelungslücke schließen

Die SPD in Nordrhein-Westfalen fordert, das Strafrecht um den Aspekt des Missbrauchs im Seelsorgeverhältnis zu erweitern und staatliche Standards für die Aufarbeitung zu schaffen. Unterstützung kommt von Experten.

Autor/in:
Von Andreas Otto
Blick auf ein Wandkreuz während der Vorstellung des Missbrauchsgutachtens im Erzbistum München und Freising / © Sven Hoppe (dpa)
Blick auf ein Wandkreuz während der Vorstellung des Missbrauchsgutachtens im Erzbistum München und Freising / © Sven Hoppe ( dpa )

Angesichts der Missbrauchsfälle in den Kirchen plädieren Experten für eine Erweiterung des Strafrechts. In Stellungnahmen für eine Anhörung im Rechtsausschuss des Landtags am Donnerstag fordern sie, die Ausnutzung seelsorgerlicher Tätigkeit ausdrücklich unter Strafe zu stellen. Der Paragraf 174 des Strafgesetzbuchs, der den Missbrauch von Schutzbefohlenen unter Strafe stellt, sollte um einen Absatz "sexueller Missbrauch in Seelsorgeverhältnissen" ergänzt werden.

Schwarz-grüne Initiative

Die Experten äußern sich zu einem Antrag der SPD-Fraktion. Darin fordert sie von der schwarz-grünen Landesregierung eine Bundesratsinitiative, um eine gesetzliche Grundlage für Aufarbeitungskommissionen sowie einheitliche Aufarbeitungsstandards zu schaffen. Der Strafrechtsparagraf zu sexuellem Missbrauch sei um den Aspekt des Missbrauchs im Seelsorgeverhältnis zu erweitern. Die Landesregierung solle zudem die Stelle eines unabhängigen Beauftragten und eine Wahrheitskommission schaffen sowie eine Dunkelfeldstudie beauftragen. Den Verantwortlichen in den Kirchen wirft die SPD vor, die Missbrauchsfälle in ihren Reihen nicht aus eigener Kraft aufklären zu können.

Verletzliche Seelsorgebeziehung

Angesichts der bekannten zahllosen Fälle sexueller Gewalt in Zusammenhang mit Seelsorge sei die Einschätzung des Gesetzgebers, dass es sich hier um strafwürdiges Unrecht handele, "mehr als nur gut vertretbar", erklärt der Kölner Staatsrechtler Stephan Rixen.

Chronik des Missbrauchsskandals in der katholischen Kirche

Januar 2010: Der Leiter des Canisius-Kollegs der Jesuiten in Berlin, Pater Klaus Mertes, macht durch einen Brief an ehemalige Schüler den Missbrauchsskandal an seiner Schule bekannt. Jesuiten hätten in den 1970er und 80er Jahren Schüler sexuell missbraucht. Er löst damit eine Welle von Enthüllungen zu Missbrauchsfällen in der Kirche, aber auch in Schulen und anderen Institutionen aus.

Canisius-Kolleg in Berlin / © Christoph Scholz (KNA)
Canisius-Kolleg in Berlin / © Christoph Scholz ( KNA )

Die Leiterin der Fachstelle "Aktiv gegen sexuelle Gewalt" der Diakonie Deutschland, Marlene Kowalski, empfiehlt die Ergänzung, da eine Seelsorgebeziehung sehr verletzlich sei. Ilka Brambrink von der Katholischen Landesarbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz Nordrhein-Westfalen spricht von einer Regelungslücke; sexualisierte Gewalt in der Seelsorge sei vergleichbar mit der in einem Beratungs- und Betreuungsverhältnis.

Staatliche Aufarbeitungskommissionen

Die Experten sprechen sich überwiegend auch dafür aus, dass sich der Staat mehr an der Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch in der Kirche beteiligt, etwa in Form einer Aufarbeitungskommission in NRW und eines oder einer Landesbeauftragten für Kinderschutz und -rechte. Nach Ansicht von Rixen muss der Staat eine besondere Aufmerksamkeit auf die Kirchen legen, aber auch andere Institutionen in den Blick nehmen wie Sportvereine. Bei staatlichen Einrichtungen wie Jugendämtern oder der Heimaufsicht könnte sich die Frage stellen, ob sie ihre Schutzaufgabe erfüllten. Eine staatliche Aufarbeitungskommission sollte laut Rixen Standards festlegen für die Aufarbeitung in nicht-staatlichen Institutionen, etwa um die Unabhängigkeit zu sichern.

Mauern des Schweigens aufbrechen

Die Dekanin des Fachbereichs Sozialwesen an der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen, Heike Wiemert, betont, ein Kinderschutzbeauftragter könnte dazu beitragen, die "Mauer des Schweigens um sexuelle Gewalt" aufzubrechen. Marlene Kowalski von der Diakonie erwartet, dass ein Beauftragter Impulse in den öffentlichen Diskurs gibt und Akteure zum Thema vernetzt.

Auf positives Echo stößt auch die Idee, eine Wahrheitskommission einzurichten. Über sie könnten Betroffene, deren Täter schon tot sind, eine Anerkennung erfahren, so Rixen. Sie solle Ausmaß, Formen, Ursachen, Bedingungen und Folgen von sexuellem Missbrauch in Institutionen untersuchen, so Wiemert. Laut Kowalski muss oberstes Kriterium für die Berufung in die Kommission die Unabhängigkeit der Mitglieder sein.

Quelle:
KNA
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