DOMRADIO.DE: Das Zweite Vatikanische Konzil hat in den 1960ern den Umgang der katholischen Kirche mit dem Judentum grundlegend verändert. Seitdem sprechen wir von den Juden als "älteren Brüdern" im Glauben. Die Staatsgründung Israels war aber schon 20 Jahre früher. Wie kam das damals in der katholischen Kirche an?
Prof. Klaus Unterburger (Lehrstuhl für Kirchengeschichte des Mittelalters und der Neuzeit an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München sowie Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft der Kirchenhistoriker und Kirchenhistorikerinnen im deutschen Sprachraum): Das war ein hoch umstrittener und sensibler Vorgang. Die katholische Kirche stand erst mal auf dem Standpunkt der UN-Resolution, der eine Internationalisierung von Jerusalem vorgesehen hat, auch von den heiligen Stätten. Israels Staatsgründung wurde anfangs von wenigen Staaten anerkannt, der Heilige Stuhl hat es abgelehnt.
Papst Paul VI. ist während des Zweiten Vatikanischen Konzils, Anfang 1964, als Pilger zu den heiligen Stätten ins Heilige Land gereist, primär um den Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel dort zur Versöhnung zu treffen, aber auch, um an den heiligen Stätten zu beten.
Er hat es penibel vermieden, dabei ein Wort der Anerkennung für Israel als unabhängigen Staat oder auch für die Staatsämter den Staatspräsidenten usw. auszusprechen. Das war auch der Standpunkt, den der Heilige Stuhl schon 1949 in einer Enzyklika Pius XII. formuliert hat. Man fordert, Jerusalem müsse entweder internationalisiert werden oder zumindest dass es Garantiemächte geben müsse. Die heiligen Stätten müssten unabhängig sein und es müssten Garantien für die Katholiken dort geben.
Man war eben nicht bereit, zur damaligen Zeit Israel anzuerkennen, insbesondere wegen der Spannungen zu den arabischen Christen, aber auch im ganzen Nahostkonflikt, der da natürlich hineinspielt.
DOMRADIO.DE: Dabei geht die Diskussion ja noch weiter zurück als nur zur Staatsgründung. Schon 1903 hat der Zionistenführer Theodor Herzl Papst Pius X. um Hilfe gebeten, Juden im damaligen Palästina anzusiedeln. Die Antwort des Papstes lautete: "Wir werden die Juden nicht hindern können, nach Jerusalem zu gehen, aber begünstigen können wir das auf keinen Fall". Was steckt dahinter? Woher kommt konkret diese Ablehnung?
Unterburger: Da steckt eine alte, über Jahrhunderte vertretene Theologie, die bei Pius X. damals ganz deutlich war. Denn er sagt dann auch zu Herzl: "Ihr Juden, ihr habt den Messias abgelehnt. Wir können auf keinen Fall akzeptieren, dass ihr über Christen herrscht." Das ist auch die Sorge, ob es unter jüdischer Herrschaft dann noch Religionsfreiheit gibt. Werden die Rechte der Katholiken dort im Heiligen Land gewahrt?
Aber da steckt noch eine weitere Vorstellung dahinter, dass der Bund, den Gott mit Israel geschlossen habe, von Israel gebrochen wurde und durch die Kirche ersetzt worden ist. So war die alte Theologie. Das bedeutet für diesen Bundesbruch, als Strafe sei Israel dazu verdammt, in der Diaspora bis zur endgültigen Wiederkehr des Messias das Dasein zu fristen.
Deshalb hat man das auch theologisch unterfüttert. Das kann man bei Pius X. sehen, aber auch bei vielen italienischen Christen, die im Heiligen Land lebten, etwa bei den lateinischen Patriarchen in den 1920er Jahren, die ganz stark von solchen theologischen Vorstellungen geprägt waren und deshalb den Zionismus und die Staatsbildung abgelehnt haben, und vor allem auch die Herrschaft der Juden über die Christen.
Also, das spielt noch zusätzlich hinein, jenseits der Sorge um die Katholiken im Heiligen Land und den Zugang zu den heiligen Stätten.
DOMRADIO.DE: Die offizielle Anerkennung des Staates Israel durch den Heiligen Stuhl fand allerdings erst 1994 statt, als der erste Nuntius vom Vatikan entsandt wurde. Warum hat sich das noch mal so lange hinausgezögert?
Unterburger: Die Grundlage dafür bildet das Konzil und die Schrift "Nostra aetate", das berühmte Kapitel vier, das mit dieser Substitutionstheologie bricht und sagt: Der Bund Gottes mit Israel ist von Seiten Gottes angekündigt. Deshalb steht das jüdische Volk im Bund Gottes, es sind die älteren Brüder im Glauben. Die Kirche verurteilt in diesem Dokument jede Form des Antisemitismus. Das ist die religiöse Grundlage. Damit wird ein Teil der Hindernisse ausgeräumt.
Das andere ist, dass dieses Thema natürlich auch politisch höchstsensibel ist und war. Nahostkonflikt, Sechs-Tage-Krieg, Jom-Kippur-Krieg sind da nur zu nennen. Da gab es ein Stück weit unterschiedliche Interessen. Der Heilige Stuhl hatte eher das praktische Interesse, Rechte der Katholiken, freien Zugang zu den heiligen Stätten, vielleicht auch die Finanzierung der Kirche, der Schulen usw. zu sichern.
Israel hatte auch ein sehr starkes Interesse der Anerkennung durch den Heiligen Stuhl. Es war immer heikel, wie das bei den Palästinensern ankommt. Ein Teil davon sind ja auch Christen und Katholiken. Letztlich ist diese Aufnahme der diplomatischen Beziehungen, die Ende 1993 mit dem Grundlagenabkommen und der Entsendung des Nuntius eingeleitet wird, durch den Friedensprozess möglich geworden, der zu den Osloer Verträgen geführt hat.
Diese Anerkennung ist auch ein Produkt dieses Friedensprozesses. Man muss allerdings sagen, dass der Heilige Stuhl auch gute Beziehungen zu einem Land haben kann, wo es keine diplomatischen Vertretungen gibt. Man muss vielleicht diesen Punkt nicht völlig überbewerten, aber mit den Osloer Verträgen ist letztlich diese neue Form der Anerkennung diplomatisch zu Stande gekommen.
DOMRADIO.DE: Wie sieht denn heute die Beziehung zwischen Rom und dem Staat Israel aus? Bezieht der Heilige Stuhl Position im Nahostkonflikt?
Unterburger: Der Heilige Stuhl hat auf der einen Seite eine sehr deutliche Option für die Zweistaatenlösung. Er hat auch Grundlagenabkommen mit Palästina, schon im Jahr 2000 mit der PLO. Das ist 2015 erneuert worden. Also, er plädiert stark für diese Zweistaatenlösung.
Auf der anderen Seite hat Papst Franziskus bei seinem Besuch in Israel am Grab von Herzl, also dem Zionistenführer, gebetet. Da sieht man doch eine sehr starke Entwicklung hin. Man hat sich auch nicht nur verbal an Israel noch mal angenähert, indem man die Bedeutung des Staates als Schützer der Religionsfreiheit, der Katholiken im Heiligen Land und auch als Wahrer des Friedens herausgestellt hat.
Eine große Rolle spielen hier die Bemühungen, die schon vorher die Päpste auf Anerkennung und Aussöhnung des Judentums und Kampf gegen den Antisemitismus unternommen haben. Das ist von Papst Franziskus noch mal sehr stark forciert worden und auch in symbolischen Gesten sehr deutlich gemacht worden.
Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.