KNA: Herr Professor Köhne, welche Exponate sind die Höhepunkte der Ausstellung "Klosterinsel Reichenau – Welterbe des Mittelalters"?
Eckart Köhne (Leiter des Badischen Landesmuseums): Die mittelalterlichen Prachthandschriften. Mönche haben sie vor mehr als 1.000 Jahren auf der Reichenau gestaltet. Dazu kommen kostbare liturgische Gegenstände wie Kreuze oder Kelche sowie Kleidungsstücke aus Klöstern, von denen sich nur sehr wenige erhalten haben. Die Ausstellung wird die einmalige Chance bieten, diese Zeugnisse der klösterlichen Kultur ganz nah an dem Ort zu erleben, an dem sie gefertigt und benutzt wurden.
KNA: Was ist das Besondere an den Handschriften?
Köhne: Es sind meisterhaft ausgeführte, einzigartige Kunstwerke. Man kann sie sich als eine Art religiöses Bilderbuch vorstellen. Es waren Bücher für den Gebrauch im Gottesdienst, die Bibeltexte oder Gebete enthielten. Ganzseitige Illustrationen zeigen Heilige, Figuren der Bibel oder Szenen mit den Schreibern und Äbten, die die Bücher in Auftrag gegeben haben. Faszinierend ist, wie gut sich die auf Pergament gefertigten Zeichnungen über mehr als ein Jahrtausend erhalten haben.
KNA: Wie aufwendig ist es, diese Kunstschätze in die Ausstellung zu holen?
Köhne: Sehr, sehr schwierig. Schon allein, weil die Anforderungen an den Schutz dieser Bücher extrem hoch sind. Mehrere Bände gehören zum Weltdokumentenerbe. Umso mehr freuen wir uns, dass es gelungen ist, das Vertrauen der Leihgeber zu gewinnen. Ein Band kommt beispielsweise aus der französischen Nationalbibliothek. Um die konservatorisch bestmöglichen Bedingungen und die Einhaltung aller Sicherheitsstandards zu garantieren, wollen wir die Schriften in dafür eigens neu gestalteten Räumen des Archäologischen Landesmuseums in Konstanz präsentieren.
KNA: Was aber, wenn Besucher sagen: Ein 1.300 Jahre altes Kloster hat doch mit meinem Leben heute gar nichts mehr zu tun?
Köhne: Ich bin überzeugt davon, dass unsere Ausstellung zeigen kann, wie stark uns die damalige Kultur bis heute prägt. Die antike Literatur und Philosophie hat in den Klöstern überdauert, die Kirchen und Bauten existieren heute noch und werden für Gottesdienste genutzt. Selbst das heutige Landschaftsbild geht vielerorts auf die mittelalterlichen Abteien zurück, weil erst sie Land urbar machten und nutzten. Der Gemüseanbau, für den die Reichenau bis heute berühmt ist, hat seinen Ursprung in den Gärten und Feldern des Klosters.
KNA: Wird die Ausstellung als regionales Thema geplant?
Köhne: Keineswegs. Es geht uns um eine europäische Perspektive. Der Klostergründer Pirmin war ein Wandermönch aus Irland. Die Klostergemeinschaft hatte vielfältige Kontakte – etwa nach Oberitalien oder nach Frankreich. Die Klöster bildeten damals ein Netzwerk, das ganz Europa überspannte. So ist Wissen ausgetauscht und überliefert worden. Und die Reichenau war im neunten und zehnten Jahrhundert eines der einflussreichsten Klöster überhaupt. Hier wurden Hofbeamte ausgebildet und die Eliten geschult. Und die Äbte der Reichenau hatten selbst wichtige politische Ämter inne.